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Lieber wundern statt ärgern: Wenn Bücher begeisterte Rezensionen erhalten, welche die Lektüre nicht bestätigt.

Manche Publikation ist es wert, beiseitegelegt zu werden. Vielleicht auch, weil man sich bewusst ihrer angeblichen »schieren Intelligenz« (S. 33) entziehen möchte, und man in die jubelnde Lobhudelei anderer nicht einstimmen kann, selbst wenn sie alle miteinander »in der Sonne ihrer Begeisterung« für dieses Werk »schmelzen« (S. 25). Dann genügen 35 Seiten, um mit der Protagonistin ob schiefer Wortbilder zwei Mal »die Achseln [zu] zucken« (S. 34, 36, 104, 380), ein Mal davon sogar fröhlich (S. 988), ich habe es vor dem Spiegel erprobt, spätestens zu diesem Zeitpunkt ist Gelächter sicher, bevor man sich entscheidet, die eigene Lebenszeit für anderes zu nutzen, statt sich über gewollte und holprige Sprachbilder oder erklärende Passagen zu echauffieren, mag das Romanthema an und für sich auch noch so wichtig sein. Wer auf der Suche nach bizarr misslungenen Sprachbilder ist, wird in diesem Roman sicherlich fündig und hat alsdann sicherlich eine lange Liste grandioser ›so nicht‹.

 

 

Aus gänzlich anderem Grund, doch nicht minder, enttäuscht Bachtyar Ali »Der letzte Granatapfel«. Gleichfalls wurde dieser Roman von der Kritik hochgejubelt, und man fragt sich während der Lektüre weshalb. Nicht wie bei Mithu M. Sanyal aus sprachlichen Gründen. Im Gegenteil: Dieser Roman ist voll mit wunderbaren Sprachbildern, an denen man sich erfreut, die man sich merken möchte, über die sich ein Nachdenken lohnt. Doch hakt es am Aufbau des Erzählflusses: Bachtyar Ali setzt bewusst Forshadowing ein. Das heißt, er liefert mehr oder weniger von Beginn an knappe Hinweise auf ein Drama, das sich erst enthüllen wird. Leider nutzt er diesen Kunstgriff jedoch höchst inflationär, sodass man sich als Lesende*r eher gegängelt fühlt, sich verärgert im Gewirr der Fäden verstrickt und man bei dem fünfzehnten Hinweis, dass man irgendwann schon erfahren werde, was es mit dem gläsernen Granatapfel, den jungen Männern gleichen Namens, dem letzten Granatapfelbaum auf sich habe, schlicht die Nase voll hat. Hinzu kommt außerdem, dass die finale Auflösung das zuvor implizit getätigte Versprechen nicht einlösen kann. Schade. Denn auch dieser Roman behandelt ein wichtiges und interessantes Thema: Welche seelischen Schäden bleiben nach Jahrzehnten der Bürgerkriege in den Bewohner*innen eines Landes, wie gehen Menschen damit um? Bachtyar Ali wurde1966 im Nordirak geboren und lebt seit Mitte der 1990er-Jahre in Deutschland, der Roman ist in der sehr gelungenen Übersetzung von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim im »Unionsverlag« erschienen. 

 

Final bleibt nur zu sagen: Höchst verwunderlich wieso Lorbeeren über Lorbeeren, unverständlich, die sich überschlagende Adjektivitis der Rezensent*innen. Oder sollte gegenwärtig schon das Mittelmaß »fantastisch« und »perfekt« geworden sein?

 

Mithu M. Sanyal: Identitti. München: Carl Hanser Verlag 2021.

Bachtyar Ali: Der letzte Granatapfel. Zürich: Unionsverlag 2019.