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Feuchtwanger »Jud Süß«. Oder: Von einem faszinierenden historischen Stoff, der bis heute Unbehagen bereitet

 

»Jud Süß« ist kein Plot wie jeder andere. Dafür sorgte nicht bloß Veit Harlan, der Mann hinter dem gleichnamigen Propagandafilm der Nationalsozialist*innen; das griffe zu kurz. Vielmehr müsste man den seit Jahrhunderten stetig wiederkehrenden Antisemitismus ebenfalls als Quelle des Unbehagens nennen, mit all seinen Konsequenzen an Vorurteilen, Verhetzungen, Übergriffen und Pogromen. Die Beklommenheit wird außerdem durch das Wissen genährt, dass die historischen Fakten zur realen Person Joseph Süß Oppenheimer bis heute Leerstellen aufweisen, manche biographischen Details aller Logik entbehren, Tatsachen (auch bei Feuchtwanger) nach heutigem Wissenstand nicht korrekt wiedergegeben werden, weshalb der Verdacht berechtigt ist, dass hier manches erst noch einer historischen Aufarbeitung harrt.

 

Der geschichtliche Hintergrund: Aufstieg und Fall eines Bankiers und Finanzmannes

 

Im Hintergrund aller literarischen, musikalischen und filmischen Bearbeitungen des Plots steht die geschichtlich belegte Person Joseph Süß Oppenheimer; manchmal scheint jener Bankier so weit in eine stereotype Kulisse eingearbeitet zu sein, dass er kaum mehr zu erkennen ist. Was jedenfalls historisch zu belegen ist, wäre die Tatsache, dass die Herkunftsfamilie Oppenheimer damals unter Juden sehr angesehen war und aus der Stadt Oppenheim stammte. Im Hinblick auf Joseph Süß Oppenheimer gilt nicht einmal sein Geburtsdatum als gesichert, was in jenem Jahrhundert kaum verwunderlich ist: Er wurde eventuell 1692, wohl eher jedoch um 1698/99 in Heidelberg als Sohn des Süßkind Oppenheimer aus dessen zweiter Ehe mit Michele Chasan geboren. Ein Bruder sowie eine Schwester sind außerdem belegt.

Da jüdische Mitbürger*innen zu jener Zeit weder ein Handwerk ausüben durften noch Boden besitzen, wählt sich Joseph Süß Oppenheimer unter den ihm möglichen Berufen denjenigen des Geschäftsmanns. Tatsache ist des Weiteren, dass in Württemberg Menschen mosaischen Glaubens die Ansiedelung verboten war. Die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung bestand einzig für sogenannte ›Hofjuden‹, das heißt für diejenigen, welche den Herzog mit diversen begehrten Waren versorgten.

Das Regierungssystem jener Zeit in dieser Region verdient eine weitere Explikation, damit die Hintergründe des Machtkampfes, um den es in jenem Stoff geht, verständlicher werden: Es herrschte in Württemberg seit dem 14. Jahrhundert ein duales System. Der Herzog hatte mit den sogenannten Landständen, das heißt mit einer Zunft- und Gildevertretung, zu regieren. Diese Landstände bildeten eine Form von Geheimem Rat. Ihre verbrieften Rechte schlossen auch das Steuerbewilligungsrecht mit ein. Folglich war der Herzog finanziell von seinen Landständen abhängig, seine Vorhaben hatten weitestgehend von ihnen genehmigt zu werden. Die Basis dieses Systems bildete bis 1805 der »Tübinger Vertrag«, welcher als eine Art Verfassung interpretiert werden kann. Karl Alexander ist nicht der erste Herzog, der mit seinen Landständen fortwährend im Clinch liegt, Jahrhundert für Jahrhundert zogen sich die Dispute zwischen den beiden Polen der Macht, von welcher der Herzog stets mehr will, am liebsten eine absolutistische Herrschaft, während die zweite Kraft im Land darauf erpicht ist, solche Allüren, die ihre in der Verfassung bereits verbrieften Rechte erneut beschneiden würden, im Keim zu ersticken. 

Fakt ist außerdem eine religiöse Problematik. Württemberg ist seit der Reformation protestantisch. Karl Alexander hingegen konvertiert, noch als Prinz, zum Katholizismus. Nicht aus Überzeugung, sondern um seine sich ewig in Bedrängnis befindende Börse zu füllen; ein geschickter Schachzug der Jesuiten, so stellt es Lion Feuchtwanger zumindest in seinem Roman dar. 

Als der alte Herzog Eberhard Ludwig überraschend und ohne direkten Erben stirbt, kommt Karl Alexander an die Macht. Bei seinem Regierungsantritt mühen sich die Landstände daher mehr denn je um Absicherung, dem Katholiken misstrauend. Umfassende Sicherheiten streben sie an, denn Württemberg soll unbedingt protestantisch bleiben; die sogenannten Religionsreversalien hat Karl Alexander zu unterzeichnen, wodurch die landesbischöflichen Rechte an den der Landschaft verpflichteten Geheimen Rat übergehen. Obendrein sichern sie sich weitere Privilegien sichern sie sich, welche Karl Alexander während seiner Regentschaft stets aufs Neue wieder einzuschränken sucht.

Als historisches Faktum gilt des Weiteren, dass Joseph Süß Oppenheimer Prinz Karl Alexander in finanziellen Angelegenheiten beriet – noch bevor dieser den württembergischen Herzogsthron bestieg. 1734 wird Süß Oppenheimer dessen Schatullenverwalter, 1736 ernennt Karl Alexander ihn zum Geheimen Finanzrat, und macht ihn damit zu einem mächtigen Mann in Württemberg.

Wie auch schon seine Vorfahren ist Karl Alexander auch als Herzog wegen zahlreichen Kriegshandlungen und pompöser Hofhaltung samt einer erklärten Vorliebe für Juwelen stets knapp bei Kasse. Um unabhängig von der Landschaftskasse zu werden, die jedes seiner Vorhaben zu genehmigen hat und diese oftmals abschlägig bescheidet, lässt sich der Herzog von seinem Finanzier Süß Oppenheimer beraten wie auf andere Art an Geld zu kommen sei. Was ihm dieser vorschlägt, gilt in anderen Territorien im Zeitalter des Merkantilismus bereits als Usus, nicht jedoch in Württemberg, dort reagiert man empört auf diese ›neuen Moden‹. So schlägt ihm Joseph Süß Oppenheimer einen Brücken- und Wegzoll vor, unterbreitete ihm die Idee eines Tabakmonopols – beides wird trotz der Proteste umgesetzt. Obendrein teilt er ihm auch die Idee des damals durchaus üblichen Ämterhandels mit, unter dem das Faktum zu verstehen ist, dass nicht der geeignetste Bewerber einen Posten erhält, sondern der finanzkräftigste. In die gleiche Kategorie zweifelhafter Geldbeschaffungspolitik fällt die legalisierte Möglichkeit, Beschuldigte vor Gericht freizukaufen. Solche Manöver, die dem Herzog Geld bringen, beschneiden jedoch auch die Machtinstrumentarien der Stände, weshalb diese um ihren politischen Einfluss bangen und sich als Opposition zu formieren beginnen. Angesichts dieses Gegenwinds, der den Sturm schon ahnen lässt, bittet Joseph Süß Oppenheimer deshalb in den Monaten des Jahres 1736 sowie zu Jahresbeginn 1737 wiederholt um seine Entlassung; ohne Erfolg. Der Herzog will auf sein ›Finanzgenie‹ nicht verzichten. Vielleicht auch nicht auf den möglichen Sündenbock, sollte die Situation eskalieren – diese Deutung der Fakten legt zumindest Lion Feuchtwanger in seiner Darstellung nahe.

Als der Herzog am 12. März 1737 überraschend stirbt, wird Süß Oppenheimer sogleich verhaftet. Ein Sondergericht macht ihm den Prozess – zum Schein. Denn das Urteil steht von Beginn an fest. Die Bestätigung am 9. Januar 1738 erfolgt durch ein Regierungsorgan. Antijüdische Ressentiments und die gekonnt geschürte Wut einer Bevölkerung machen aus dem gesamten Prozess von Anfang an eine Farce. (Vgl.: http://www.deutschlandfunk.de/vor-280-jahren-hofbankier-joseph-suess-oppenheimer-zum-tode.871.de.html?dram:article_id=407847)

 

Ein Scheinprozess

 

Dies belegt auch die Verteidigungsschrift, mit deren Abfassung ein Tübinger Jurist beauftragt wurde. Ein eigener Anwalt hingegen wurde Joseph Süß Oppenheimer ebenso verweigert wie das Recht auf Berufung. Das verteidigende Schriftstück des Tübinger Juristen enthält entgegen üblicher Praxis keine Randvermerke, keine Spuren einer Auseinandersetzung damit seitens der Richter, weshalb die Vermutung nahe liegt, die Richter hätten die Verteidigungsschrift aus den Unterlagen exkludiert. Hinzu kommt, dass man die Bevölkerung bewusst zur Denunziation Joseph Süß Oppenheimers aufrief; 607 Menschen folgten diesem Appell:

»›Es war wirklich ein Justizmord […] [‹, so Kretzschmar, Präsident des Landesarchivs Stuttgart 2011.] Die Anklage stand auf wackligen Füßen. Erst wurden dem Mittdreißiger, der wohl einen freizügigen Lebensstil führte, unberechtigte Einnahmen und Sexualdelikte vorgeworfen. ›Da eierten die fürchterlich herum‹, sagt Kretzschmar. Später einigte sich das Gericht darauf, Oppenheimer wegen ›an Herren und Leuten verübter verdammlicher Misshandlung‹ zum Tode zu verurteilen. ›Es ging nicht darum, Recht zu sprechen, sondern mit der Politik Karl Alexanders und seines Beraters abzurechnen‹ […].« (Vgl.: https://www.welt.de/kultur/history/article13417816/Fund-bestaetigt-Justizmord-am-Juden-Oppenheimer.html).

Am 4. Februar 1738 wird Joseph Süß Oppenheimer auf dem Pragsattel bei Stuttgart hingerichtet. Erdrosselt, nicht gehängt; und sein Leichnam alsdann sechs Jahre lang zur Schau gestellt.

So viel zur Historie. Ein Umriss; mehr kann im Rahmen dieser Reflexion über einen Plot kaum gegeben werden. Erst in den späten 1920er Jahren wurde Forschenden Akteneinsicht gewährt; ein Faktum, welches die Legendenbildung nährte, zum Beispiel im Hinblick auf die angebliche Existenz eines leiblichen, adeligen Vaters katholischen Hintergrunds, wie er sich auch in Lion Feuchtwangers (1884–1958) Darstellung noch findet. Neuere Quellenstudien widersprechen diesen Angaben und verweisen sie ins Reich der Legenden.

 

Die erzählerischen Bearbeitungen

 

Über Joseph Süß Oppenheimer sind nicht nicht bloß hunderte Spottgedichte aus dem 18. Jahrhundert überliefert. Sein Aufstieg und Fall, seine Persönlichkeit – so weit bekannt oder so weit man sie erkennen wollte – wurde Thema für Wilhelm Hauff (1802–1827), Lion Feuchtwanger, Detlev Glanert (geb 1960; Libretto: Uta Ackermann / Werner Fritsch) und unzählige andere – sei es in belletristischen Werken, als Opernstoff, in Filmen, Dokumentationen, Doku-Dramas und Sachbüchern.

Drei davon sollen hier vergleichend betrachtet werden. Ausgangspunkt ist Lion Feuchtwangers Darstellung, die er inspiriert durch die 1916 gelesene Biographie Manfred Zimmermanns »Josef Süß Oppenheimer, ein Finanzmann des 18. Jahrhunderts. Ein Stück Absolutismus- und Jesuitengeschichte« begann. Darin fand Feuchtwanger den Vermerk, Joseph Süß Oppenheimer, »der es im übrigen mit den rituellen Vorschriften durchaus nicht genau genommen habe, habe sich geweigert, zum Christentum überzutreten, trotzdem er dadurch wahrscheinlich sein Leben hätte retten können.« (Vgl.: Lüttig, Gisela: Nachwort.Sowie: http://www.judentum-projekt.de/persoenlichkeiten/geschichte/oppenheimer/index.html)

Diese Anmerkung weckte nicht nur Feuchtwangers Interesse, sie liefert auch einen der Eckpfeiler seiner Darstellung der Historie: Religiöse Vormachtkämpfe zwischen Protestanten und Katholiken, werden zentral in den Blick gerückt; ebenso wie die Ghettoisierung der Juden, die antisemitisch motivierten Vorurteile und gekonnt geschürte Ressentiments, welche der Herzog nutzt, um das Land ausbluten zu lassen. Neben diesem religiösen Machtkampf wird als zweites und damit verwobenes Element der Handlungsverkettung die Finanz in den Vordergrund gerückt: die ewige Geldnot eines Herrschers, der sich gerne als zweiter Sonnenkönig, Louis Quatorze, gebärdet und von ebensolchem Absolutismus träumt. Ein drittes, gleichfalls wesentliches Motiv ist eine weltanschaulich-philosophische Reflexion, auf die Feuchtwanger – zusätzlich zur hinein verwobenen, impliziten Darstellung im Roman – auch in seinem späteren Essay »Über Jud Süß« verweist:

»[…] was ich machen wollte, das war: den Weg des Menschen weißer Haut zu zeichnen, den Weg über die enge europäische Lehre von der Macht über die ägyptische Lehre vom Willen zur Unsterblichkeit bis hin zu der Lehre Asiens vom Nichtwollen und Nichttun. Daß ich einen Juden diesen Weg gehen ließ, geschah deshalb, weil sich in Wesen und Schicksal des Juden die Entwicklung des weißen Menschen nach Asien hin besonders deutlich zeichnet. Schon die geographische Lage seines Ursprungslandes gibt ihm jene Mischung von Asien und Europa, gibt ihm die westöstlichen Züge, die das Gesicht des Typus bestimmen, zu dem hin die Entwicklung drängt. Das Gleichnis dieses westöstlichen Menschen erblickte ich in dem Manne Josef Süß, in seinem heftigen Ergreifen und in seinem überzeugten Sichfallenlassen, in seinem wilden Tun und in seinem gelassen-kräftigen Nichttun.« (Vgl.: Nachwort.) 

Dies sei hier nur am Rand postuliert, um an andere Werke der 1920er Jahre und ihre Verfasser*innen zu erinnern, die sich mit jenem damals in Mode seienden Denken östlicher Gelassenheit als Kontra zu westlicher Betriebsamkeit und Schaffenslust (oder -wahn?) bis hin zu westlichem Machtstreben beschäftigten wie Hermann Hesse, Thomas Mann oder auch Else Lasker-Schüler. Man könnte in diesem Motiv aus heutiger Sicht durchaus auch den Versuch Feuchtwangers sehen, die innere Dynamik eines Menschen nachzuzeichnen, die Figurenpsychologie erfassen zu wollen und den Versuch einer Antwort auf die Frage, weshalb einer, der zuerst mit jeder Faser nach Macht strebt – auch um zu beweisen, dass selbst ein Mann mosaischer Herkunft alles erreichen kann –, plötzlich kein Interesse mehr an Status und Pomp hat, verharrt, vereist und final nichts unternimmt, um sich selbst zu retten. Schließlich sind die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts auch das Zeitalter Sigmund Freuds. 

Feuchtwanger flechtet hierzu die Geschichte Naemis ein, der Tochter Joseph Süß Oppenheimers. Naemi, was ›die Liebliche‹ bedeutet, wächst auf Wunsch des Vaters verborgen vor aller Augen in einem einsamen Waldhaus heran. Dennoch kann Süß Oppenheimer nicht verhindern, dass einer seiner Widersacher sie bemerkt, und den Herzog während der Jagd auf das Mädchen aufmerksam macht. Die gewünschte Rache gelingt: Der Herzog, bekannt dafür, sich junge Mädchen auch mit Gewalt zu ›nehmen‹, versucht just dies. Naemi jedoch flieht aufs Dach und stürzt (sich) hinab. Ihr Tod ist ein entscheidender Wendepunkt in Feuchtwangers Roman; nicht nur bezüglich Joseph Süß Oppenheimers Verhältnis zum Herzog, sondern auch in seiner Weltsicht allgemein, in seiner Einschätzung dessen, was im Leben Wert hat.

1922, als Feuchtwanger seinen Roman fertigstellte, wollte kein Verleger sich über die Publikation dieses Werkes wagen; erst drei Jahre später erschien es im eher unbedeutenden »Drei Masken«-Verlag und avancierte wider Erwarten aller rasch zum Bestseller. Der Roman wurde in 56 Sprachen übersetzt.

 

Die Nazipropaganda-Maschinerie

 

Wie alle anderen Werke Feuchtwangers wurde auch »Jud Süß« von den Nationalsozialist*innen verboten, die den Plot – ergänzt mit ihren eigenen politischen, propagandistischen Ambitionen – trotzdem als Filmstoff aufgriffen. Kein Geringerer als Goebbels selbst wird dabei treibende Kraft sein und in Veit Harlans Film mitmischen. Im Jahr 1940 wird dieses Machwerk der Öffentlichkeit unter dem gleichen Titel wie Feuchtwangers Roman präsentiert.

Dass Lion Feuchtwanger vehement dagegen protestiert, wundert kaum. Dass er in seinem Offenen Brief davon ausgeht, sein Roman sei in völliger Verzerrung verfilmt worden, möglicherweise schon eher. Hintergrund für Feuchtwangers Trugschluss samt nachfolgender Legendenbildung, die sich hartnäckig hält, ist wohl die Tatsache, dass manche der Schauspieler*innen, welche einst in der Bühnenfassung des Jahres 1930, dramatisiert von Paul Kornfeld für das Berliner »Theater am Schiffbauerdamm«, ebenda auf der Bühne standen, nun in diesem Hetzfilm mitwirken.

Feuchtwanger protestiert in seinem Offenen Brief mit klaren Worten:

»Jetzt […] haben Sie diesen dicken Film gedreht, diesen ›Spitzenfilm‹, in ganz großer Aufmachung […] Man wird mit Aug und Ohr nachprüfen können, wie Sie alle dazu beigetragen haben, die Geschichte jenes Juden, von dem Sie alle wußten, daß er ein großer Mann war, ins genaue Gegenteil zu verkehren. Und Sie werden nicht die bescheidenste Ausrede haben; denn Sie sind sich alle klar darüber gewesen, daß von Anfang an hinter diesem Film nicht die Spur eines künstlerischen Willens stand, sondern nur eine Tendenz, deren Dummheit und Gemeinheit allen bewußt war.« (Vgl.: Vorwort.)

Eine Ausrede? Hatte Veit Harlan dennoch. Und an Dummheit ist sie kaum zu überbieten. Als man ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagt, präsentiert er sie dem Staatsanwalt: »Marian [der Schauspieler Ferdinand Marian, welcher Joseph Süß Oppenheimer im Nazi-Propagandafilm verkörpert] hat nach dem Film Jud Süß Waschkörbe von Liebesbriefen bekommen.« Womit der Staatsanwalt erstaunlicherweise zum Schweigen gebracht ist. (Vgl.: http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf)

 

Gegenüberstellung: Feuchtwanger versus Hauff, der Vorbild war für Harlan

 

Vorbild für Harlans Hetze war jedoch weniger Lion Feuchtwangers Roman, sondern weitaus eher die antisemitische Darstellung Wilhelm Hauffs in dessen Novelle, welche 1827 im Cotta' schen »Morgenblatt für gebildete Stände« in Fortsetzungen erstveröffentlicht wurde. Die Parallelen stechen ins Auge. Hauff wählte – wie auch Harlan – für seine Novelle einen gänzlich anderen Gesichtspunkt, und zwar denjenigen der Landstände. An Joseph Süß Oppenheimers Seite stellte er – wie Feuchtwanger später – ein weibliches Pendant. In Hauffs Novelle ist dies eine weitaus jüngere Schwester namens Lea von erstaunlicher Schönheit, die der Bruder von aller Gesellschaft verborgen hält. Bei Feuchtwanger hingegen ist sie seine ebenfalls derart zurückgezogen lebende Tochter. Harlan verschiebt diesen Gegenpol nochmals und lässt daraus eine blonde Unschuld protestantischer Herkunft namens Dorothea (›das Gottesgeschenk‹) werden, die durchaus begabt ist, pathetisch die Hände zu ringen. Jüngst sah ich bei einem Bekannten eine Heiligenblondine, eine Maria Magdalena, gleichfalls wohl Ende 19. Jahrhundert, Anfang 20. in Öl gemalt, entrückter Blick und Pathos – die Ähnlichkeit war frappierend. 

Alle dreien Frauen haben unbestritten im jeweiligen Erzähluniversum eine bestimmte Funktion, mit ihnen soll Mitleid erregt werden, sie sind die emotionalen Dreh- und Angelpunkte. 

 

Die Figur des Joseph Süß Oppenheimer & die Darstellung der Juden & Jüdinnen

 

Joseph Süß Oppenheimer ist bei Feuchtwanger ein moderner Mann mit gepflegtem Äußeren, beliebt bei den Damen ob seiner Weltgewandtheit und seines Charmes, stets nach neuerster Mode gekleidet ist – im Kontrast zu dem älteren jüdischen Bankier Landauer, der die traditionelle Tracht aus Kaftan, Judenzeichen (Jagdhorn mit einem S darüber, welches ein Jahrhundert davor im Herzogtum eingeführt wurde), Bart und Schläfenlocken aus Überzeugung trägt; nicht, weil Landauer seinen Glauben praktizieren würde, sondern weil es ihm sicherer zu ein dünkt. Landauer ist überzeugt, man übe Macht in aller Stille aus, und auch wenn Geld alles könne (S. 17), tue ein Jude gut daran seinen Reichtum zu verbergen, keinesfalls solle er ihn zur Schau stellen, dies ziehe einzig Unglück und Verfolgung nach sich. Baikeles und Bart – alberne Kapricen findet hingegen Joseph Süß Oppenheimer (S. 19), viel eher würde eine derart an die Tradition des Landes unangepasste Tracht den Antisemitismus fördern, im Alten verharrende Menschen wie Landauer oder auch sein eigener Onkel verhindern eine gesellschaftliche Entwicklung. Dieser in den Romanbeginn verlegte stille Disput, eröffnet thematisch nicht nur den Rahmen der Handlung, er verweist außerdem auch auf die Debatten zu diesem Thema während der Weimarer Republik.

Bei Hauff scheint Joseph Süß Oppenheimer ein gänzlich anderer Mann zu sein. Sein Erzähler namens Gustav trifft im Rahmen eines Festes am Spieltisch auf Joseph Süß Oppenheimer: 

»Gustav hatte den Gewaltigen noch nie so in der Nähe beobachtet, wie jetzt, da er, festgehalten durch die Menge, die wie eine Mauer um ihn stand, zum unwillkürlichen Beobachter wurde. Er gestand sich, daß das Gesicht dieses Mannes von Natur schön und edel geformt sei, daß sogar seine Stirne, sein Auge durch Gewohnheit zu herrschen etwas Imponierendes bekommen haben; aber feindliche, abstoßende Falten lagen zwischen den Augenbrauen da, wo sich die freie Stirn an die schön geformte Nase anschließen wollte, das Bärtchen auf der Oberlippe konnte einen hämischen Zug um den Mund nicht verbergen; und wahrhaft greulich schien dem jungen Mann ein heiseres, gezwungenes Lachen, womit der jüdische Minister Gewinn oder Verlust [beim Kartenspiel] begleitete.« (S. 9)

Dies Lachen bedarf keiner weiteren Erläuterung, eindeutig verweist es im Zusammenspiel mit Gewinn und Verlust auf stereotype Vorurteile antisemitischer Natur. Anders hingegen verhält es sich mit besagter Falte. Diese kommt auch bei Feuchtwanger vor – zuerst im Gesicht seines Oheims Rabbi Gabriel, der Süß Oppenheimers Tochter, die der Bankier lieber im ländlichen Raum verborgen und beschützt wissen will, betreut; später, in den Monaten des Kerkers schreibt sich diese Kerbe auch oberhalb von Joseph Süß Oppenheimers Nasenwurzel ein: »Drei Furchen, scharf, tief, kurz, fast senkrecht über der Nase, zerschnitten seine Stirn, und sie bildeten den heiligen Buchstaben, das Schin, den Anfang des Gottesnamens Schaddai.« (S. 41)

Es ist die Inhaftierung, die Süß Oppenheimer bricht oder das in den Tod Treiben seiner Tochter durch den Herzog – beide Deutungen werden von Lion Feuchtwanger nahegelegt; auch die Beschreibung, die von seinem nunmehrigen Äußeren gegeben wird, ähnelt plötzlich derjenigen des Rabbi Gabriels:

»Süß war beleibter geworden, weniger straff, der Rücken runder. Sein Gesicht schien breiter, seine braunen Augen waren weniger gewölbt, langsamer, milder. In die Stirn begannen sich über die Nasenwurzel Furchen einzuzacken. Seine Bewegungen waren sachter, es war eine milde und listige Ruhe um ihn.« (S. 416)

 

Die Stände als Gegenpol

 

Wie bereits erwähnt ist Gustav Lanbek die zentrale Figur in Hauffs Novelle, sein Blickwinkel aus dem das – durchaus antisemitisch verbrämt dargestellte – Geschehen beobachtet wird: Hilflos verliebt in Joseph Süßs Schwester Lea ist jener Gustav; als Jurist wissend um ein altes Gesetz, welches jede sexuelle Beziehung oder Heirat zwischen einem Juden und einer Christin verbietet. Weshalb Gustav seinem Wunsch nach Nähe mit Lea nicht nachgeben kann, selbst wenn jenes Gesetz seit ewigen Jahrzehnten nicht mehr judiziert wurde, bloß noch ein Relikt ist; auch um seines Vaters willen, kann sich Gustav keine nähere Beziehung zu Lea vorstellen, denn solch eine Schwiegertochter würde jenem niemals konvenieren. So scharwenzelt Gustav hilflos um sie herum. Joseph Süß Oppenheimer, bei Hauff ebenso bereit seine Schwester zu verschachern wie er sonst Juwelen oder anderes Gut auf den Markt wirft, um ein anvisiertes Ziel zu erreichen, stellt Gustav ein 4-wöchiges Ultimatum mit den Worten, seine Schwester sei dem jungen Herrn wohl für Spielereien gut genug, nicht jedoch als Gattin (S. 25). Gustav solle sich bedenken, ansonsten werde der Finanzminister die am Maskenball mitgehörte Rede von Gustav Lanbeks Vater dem Herzog unterbreiten; ob diese unter Narrenfreiheit falle oder bereits den Tatbestand des Hochverrats erfülle, bleibt offen. 

Diese beiden Motive – die missachtete Narrenfreiheit sowie das unerlaubte Begehren greift auch Veit Harlan auf und baut darauf sein verzerrtes Bild: Bei ihm ist es Süß Oppenheimer, der Dorothea, die Tochter eines der Herren der Landstände, begehrt, welche mit Faber verlobt und in Folge übereilt mit ebenjenem verheiratet wird.

 

Religionskampf, Reformation und Gegenreformation

 

In allen drei Werken wird der Wunsch des Herzogs absolutistisch zu herrschen und der Verdacht der Stände, ihre Entmachtung sowie die Rekatholizierung der protestantischen Hochburg stehe unmittelbar bevor, thematisiert. Feuchtwanger breitet dieses Hin und Her der Mächte multiperspektivisch über hunderte Seiten aus, verschafft allen Stimmen darin Platz und nimmt passagenweise deren Sichtwinkel ein, indem er passagenweise ihre Erzählstimmen Erwartungen, Vermutungen, Befürchtungen, selbst den Hasstiraden Raum gibt. Hauff legt den Blickwinkel ausschließlich auf das Trio aus Gustav Lanbek, dessen Vater sowie einem Mitstreiter, Offizier von Röder. Ein kurzer Abschnitt wechselt zu Lanbeks lauschenden Töchtern, denen (zumindest final) christliches Mitgefühl eingeschrieben wird: Sie beschenken die heimat- und obdachlos gewordene Schwester des inhaftierten Joseph Süß Lea mit Kleidung.

Im Gegensatz zu Feuchtwanger, der den Herzog als cholerischen Polterer zeigt, der jeden Wunsch – sei es eine Frau, sei es ein Schmuckstück oder eben absolutistische Macht – sogleich erfüllt wissen will, sich beim geringsten Widerstand auch mit Gewalt nimmt, was nicht freiwillig gegeben wird, betont Hauff, der Herzog sei absolut unschuldig, er habe nicht einmal eine Ahnung, was im Land vor sich gehe: »Er weiß und denkt nicht, daß sie all dies vorhaben.« (S. 34) Man werde also den Umsturz vereiteln, alsdann dem Herzog die naiven Augen über die Schlechtigkeit seiner Minister öffnen (Vgl.: S. 46).

Wie unlogisch diese Darstellung wirkt! Sie lässt sich nur durch die Überlegung verstehen, man pinkle einem Monarchen – und sei er auch bereits verstorben – tunlichst nicht ans Bein, wolle man überleben … Und der Sündenbock ist ja ohnedies in den Stoff bereits eingewoben. An dieser Erzählhaltung nimmt Veit Harlan mehr als nur eine Anleihe. Er stellt Süß Oppenheimer von der ersten Sekunde an als listig blickenden, hämischen, höhnenden Typus hin, bedient alle Vorurteile und Stereotypen schon allein durch die Physiognomie. Gegenpol? Gibt es in dieser Erzählhaltung keinen. Verschwörungsängste der ›mächtigen, geldgeilen Juden‹ werden ebenso versiert bedient wie Sprachvorurteile oder das Klischee, öffne man einem Juden das Stadttor, fielen sie wie die Heuschrecken in Scharen ein. Der Herzog ist bei Veit Harlan ein übergewichtiger Lebemann, der nur seinen Genuss kennt, die Herzogin eine dumme Trine. Als männlicher Held hingegen wird in diesem Propagandafilm Faber etabliert, der junge Verlobte und baldige Ehemann Dorotheas, den Süß Oppenheimer (ebenso wie Dorotheas Vater) inhaftieren lässt, ihm die Daumenschrauben ansetzt, um Dorothea zum Geschlechtsverkehr zu zwingen und mehr über das Gegenkomplott der Landstände zu erfahren. Wird ein antisemitisches Klischeebild ausgelassen? Mir wäre keines bekannt.

Schwer erträglich ist dieser Film. Selbst wenn manche Münder davon sprechen, die Einflussnahme dieses Streifens sei ›subtil‹, ihre Manipulationsmechanismen bedürften einer Einführung, anders solle er nicht mehr gezeigt werden, so sei an dieser Stelle dem entgegengesetzt: Subtil könne diese antisemitische Keule nicht genannt werden. Es bedarf meines Erachtens schon eines absolut unhistorischen Bewusstseins, einer völligen Unkenntnis der sozialhistorischen Fakten und eines komplett naiven Umgang mit dem Medium Film, um nicht schon allein aufgrund der Faktoren Filmmusik, Schnitttechnik und Beleuchtung die eindeutig manipulierende Absicht zu durchschauen. Mal ganz abgesehen von inhaltlicher Darstellung und Figurenzeichnung, die einzig ein völlig übertriebenes Schwarz-Weiß kennt. Derart pathetisch aufgeladen und überfrachtet ist dieses Machwerk mit blond, bedrängter Jungschönheit, die sich sicherlich gerne dem BDM angeschlossen hätte, Faber an ihrer Seite, als wackerer brünetter Kämpfer deutscher Natur für das Recht auf Freiheit – zum Vomieren. Ja, eine »Mischung aus Erotik und Rassen-Antisemitismus: ›Wenn der Jude sein säuisches Wesen will treiben an unseren Frauen und Töchtern‹, heißt es im Film, ›so ist’s an Euch, mein Herzog, ihm das Handwerk zu legen!‹«. (Vgl.: http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf) 

All das trägt eindeutig Goebbels Mithandschrift.

 

Der historische Gerichtsprozess wird divergierend aufbereitet

 

Was bei Feuchtwanger zwar seitens der eingesetzten, und mit hohen Bezügen amtierenden Juristen als Argument angeführt wird, jedoch letztlich nicht zur Verurteilung genutzt wird, ist das bereits erwähnte alte württembergische Gesetz, welches zwar zu Lebzeiten Joseph Süß Oppenheimers seit Ewigkeiten nicht mehr praktiziert wird, trotzdem noch Gültigkeit hat: Es stellt den Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Christinnen unter Strafe, für die Herren mit dem Strang, für die Frauen solle solch eine Verbindung am Scheiterhaufen enden. Bei Feuchtwanger resultiert daraus der Aufruf zur Befragung diverser Damen der Gesellschaft, denn die Namen seiner Geliebten zu nennen, weigert sich Joseph Süß Oppenheimer konsequent. Da die ausgekundschafteten Damen den höchsten gesellschaftlichen Kreisen angehören, man sich deren Familien Unmut ersparen will, indem man sie zum Scheiterhaufen führe, entscheidet man sich am Ende mehrheitlich dagegen, dies Wissen in den Prozess einzubringen; abgesehen von genussvoll-peinlichen Befragungen oder als ›legitim‹ angesammelte Munition für spätere Zeiten – und sei es auch nur für das gesellschaftliche Getratsche.

Im Propagandafilm hingegen wird dieses alte Gesetz nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet: ›So aber ein Jude mit einer Christin sich fleischlich vermengt, soll er mit dem Strang vom Leben zum Tode gebracht werden, ihm zur wohlverdienten Strafe, jedermann aber zum abschreckenden Exempel‹, spricht der Gerichtsvorsitzende am Filmende – das klingt nicht bloß »wie ein Vollzug der Nürnberger Rassengesetze« (Vgl.: http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf), sie werden außerdem ausgerechnet Dorotheas Vater als anregende Instanz in den Mund gelegt. Dorothea, die pathetisch händeringende Frauenfigur, Sinnbild aller deutschen Mädel, wird hier als Opfer stilisiert, welches sich final im Fluss Neckar ertränkte. Auch dieses Erzählelement findet sich bereits bei Hauff, nur ist es dort Joseph Süß Oppenheimers Schwester Lea, die sich das Leben nimmt.

 

Reaktionen auf Harlans Film 1940

 

Die historische Wahrheit wird in Veit Harlans Film sowie in Hauffs Novelle verdreht, um emotionale Wucht aufzubauen und Hass zu schüren; Sexualphantasien sind dafür wunderbar geeignet, ebenso Besitztumswünsche über Frauenkörper, und manche der Textpassagen erinnern durchaus – und erschreckend! – an heutige xenophobe Stimmen, es bedarf bloß des Austauschs einer Religionszugehörigkeit durch eine andere. (Vgl. hierzu u.a. Beiträge in diversen Social Media Foren sowie: http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf) 

1940 erzielte die Manipulation mittels Veit Harlans Film durchaus den gewünschten Erfolg einer Hetze: »Der kollektiv und öffentlich begangene Mord an Oppenheimer animiert manche der antisemitischen Voyeure im Publikum so sehr, dass sie gewaltbereit und lautstark in den Saal brüllen: ›Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den letzten Juden aus Deutschland!‹ […] Lautstark wurde beim Verlassen des Kinos gerufen: ›Dies verfluchte Judenpack müsste man aufhängen!‹« (Vgl.: http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf)

Friedrich Knilli erforschte die Mediengeschichte des Films im Detail; im Rahmen seiner Untersuchungen beschäftigt er sich auch mit der Frage nach dessen Wirkung auf heutige Mitbürgerinnen: »Rezeptionsversuche mit der bloßen Tonspur des Harlan-Films machten wir zum ersten Mal im Winter 1979/80 in Berlin, im März 1980 in Bremerhaven und im Juli 1980 in Baden-Württemberg. Dabei sollte herausgefunden werden, wie Nichtjuden sich heute Juden vorstellen, wenn sie keine Filmbilder sehen, sondern nur die Tonspur des antisemitischen Spielfilms Jud Süß aus dem Jahre 1940 hören. Mittels dieses Tonspuren-Experiments des Harlan-Films untersuchten wir Juden-Vorstellungen von Schwaben, die in Orten lebten, in denen die Süß-Geschichte vor 200 Jahren Furore machte, nämlich in Stuttgart und Ludwigsburg, Neuffen und Asperg. Diese Befragung machte in erschreckender Weise deutlich, welche Klischees noch immer in den Köpfen stecken: Der ›Jude als Mauschler‹, der ›Jude als Wucherer‹, der ›Jude als Sittenverderber‹, der Jude schlechthin als die Inkarnation des Bösen.« Daraus entstand ein 22-minütiges Hörspiel – »Der Jude in uns« – für den Hessischen Rundfunk. (Vgl.: http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf) 

 

Staatsstreich und Gegenstaatsstreich

 

Ein weiteres Erzählelement, welches neben dem versuchten Staatsstreich und dessen Gegenstaatsstreich in allen drei Varianten, sei es bei Feuchtwanger, Hauff oder Harlan, vorkommt, ist außerdem das Edikt der Immunität, welches Joseph Süß Oppenheimer bei Feuchtwanger dem Herzog abluchst, es bei Hauff hingegen als Geburtstagsgeschenk erhält. Dieses Edikt sichert ihm Straffreiheit zu und stellt klar, alles, was er tue, geschehe auf Befehl des Herzogs und in seinem Dienst. In Feuchtwangers Roman wird dies auch als Argument in Süß Oppenheimers Verteidigung genutzt. Ohne Erfolg.

 

Es würde unsere Leser ermüden …

 

Bei Hauff hingegen wird weder Prozess noch Verurteilungsgrund thematisiert: »Es würde unsere Leser ermüden, wollten wir sie von dem Prozeß des Juden Süß noch länger unterhalten. […] ›Er mußte‹, sagen sie [seine Zeitgenossen], ›nicht so wohl für seine eigenen schweren Verbrechen als für die Schandtaten und Pläne mächtiger Männer am Galgen sterben.‹ Verwandtschaften, Ansehen, heimliche Versprechungen retteten die andern, den Juden – konnte und mochte niemand retten, und so schrieb man, wie sich der alte Landschaftskosulent Lanbek ausdrückte, ›was die übrigen verzehrt hatten, auf seine Zeche‹.« (S. 61) 

Feuchtwangers Darstellung lautet hier geringfügig und doch entscheidend anders, wiewohl auch er die Freilassung aller anderen führenden Köpfe aus Karl Alexanders beratender Riege thematisiert. Die jüdische Gemeinde versucht durchaus Süß Oppenheimer zu retten, die gesammelten Goldmünzen, mit denen ein kleines Herzogtum zu kaufen wäre, werden in seinem Fall dennoch abgelehnt, wiewohl der interimistisch regierende Herzog Karl Rudolf sich durchaus des Fehlurteils bewusst ist: »Besser, der Jud wird zu Unrecht erwürgt […] als er bleibt zu Recht leben und das Land gärt weiter« (S.446), lautet sein lakonisches Kommentar. 

Veit Harlan lässt seinen zum Tod Verurteilten bis zuletzt auf ebenjenes Edikt als einzige Verteidigung pochen, und wird von Beginn an dafür verhöhnt. Seinem Rufen, er sei nur ein treuer Diener seines Herrn gewesen, wird das Contra entgegengesetzt, über ganz Württemberg werde endlich wieder der Judenbann verhängt. Die Figur des Vaters Dorotheas, nicht zufällig trägt er wohl den Namen Sturm, ist nicht bloß Harlans Pendant zu Lanbek Senior, sondern er ist auch die Figur, welche anmerkt, die Nachfahren mögen an diesem Gesetz festhalten, auf dass ihnen viel Leid erspart bleibe. 

 

Weitere Motive

 

Abschließend sei zudem noch das Motiv des Solitärs erwähnt, welcher sich in Joseph Süß Oppenheimers Besitz befindet. Bei Feuchtwanger werfen andere Figuren begehrliche und höchst neidvolle Blicke auf jenen Ring, Joseph Süß Oppenheimer trägt ihn, lenkt jedoch keineswegs den Blick darauf, zu veräußern sei dieser Edelstein nämlich keineswegs. Feuchtwanger zeigt anhand dieses Preziosen den Neid und den daraus entstehenden Hass mittels der Figur eines anderen Beraters des Herzogs. Bei Hauff hält das Schmuckstück eine purpurrote Bajute aus Seidenflor am Hals zusammen (S. 4), spielt sonst jedoch keine Rolle. Bei Veit Harlan versucht Dorothea ihren Mann mittels des winzigen Steins ihres Eheringes freizukaufen, woraufhin der Bankier höhnt, er werde ihr den seinen zeigen, das sei ein Stein, derjenige ihres Eheringes hingegen wertlos. Kaum verhüllt wird hier folglich durchaus anderes verhandelt.

Final sei noch auf die literarische Figurengestaltung allgemein verwiesen: Während Hauff ein Bild in Schwarz-Weiß zeichnet, klaren Zuordnungen folgend, diverse Vorurteile bedient, wie er dies auch in anderen Werken tat, ist die Darstellung der Protagonist*innen bei Feuchtwanger durchaus differenzierter. Sie sind mehrheitlich dreidimensional ausgestaltet, mit Höhen und Tiefen, Abgründen und inneren Hindernissen. Mehrheitlich, wie gesagt, denn ›das Volk‹ erscheint einzig negativ gezeichnet, hassend und triebhaft. Seine Romanhandlung hat Feuchtwanger in einzelne Bücher unterteilt, die jeweils mit einem Intro beginnen, dessen Bezug zum vorher geschilderten Inhalt auf den ersten Blick kaum nachvollziehbar scheint, die aber quasi das Thema des nachfolgenden Abschnitts jeweils vorankündigen. Feuchtwangers Manie, seine Protagonist*innen mit sprachlichen Insignien zu versehen – eidechsenartig, der Kopf der Herzogin, cholerisch das Temperament ihres Mannes etc. – mag in der 97. Wiederholung insbesondere bei häufig vorkommenden Personen durchaus enervieren, bei denjenigen der Nebenhandlungsstränge hingegen unterstützt es Lesende darin, die zahllosen Figuren nicht zu verwechseln. Ein Page-Turner ist Feuchtwangers Roman nach wie vor und unbestritten; durchaus souverän wird das Material aufbereitet, die Handlungsfäden gekonnt miteinander verwoben, spannend zu sehen, wo er andeutet, an welcher Stelle er verdichtet, wann er das Thema erneut aufnimmt und wie er es weiterführt – ein literarisches Meisterwerk ist es dennoch wohl eher kaum zu nennen. 

Heute, da nunmehr umfassende Einsicht in alles historische Quellenmaterial zu nehmen wäre, und endlich auch die Verteidigungsschrift des Tübinger Juristen wiedergefunden wurde, würde dieser Plot vielleicht anders und den Tatsachen entsprechender erzählt werden können; vielleicht! – Denn Vorurteile haben einen langen Atem wie Knillis Untersuchungen – neben der Alltagsbeobachtung – belegen. Reizvoll also, sich mit diesem Stoff zu beschäftigen, doch fragt es sich, ob dies bei einer Begrenzung auf den damaligen Sachverhalt ohne ein Stolpern durch alle Nesseln möglich wäre?  Ich denke nicht. Eventuell wäre eine verwobene Darstellung, in der gerade auch der zum Machterhalt genutzte und geschürte Antisemitismus über alle Jahrhunderte hin, der Justizmord samt Verschleierungsbestrebungen ebenso wie Herrschaftsformen und Konzepte der Finanzpolitik Thema wären, eine Möglichkeit heutiger Darstellung. Eines jedenfalls ist sicher: Joseph Süß Oppenheimers Leben ist kein Plot wie jeder andere.

 

Quellen:

Feuchtwanger, Lion: Jud Süß. Berlin: Aufbau Verlag 1998.

Harlan, Veit: Jud Süss. 1940.

Hauff, Wilhelm: Jud Süss. Holzinger Verlag 2015.

http://www.deutschlandfunk.de/vor-280-jahren-hofbankier-joseph-suess-oppenheimer-zum-tode.871.de.html?dram:article_id=407847

http://www.judentum-projekt.de/persoenlichkeiten/geschichte/oppenheimer/index.html

http://www.medientheorie.com/doc/knilli_jud_suess.pdf

https://www.welt.de/kultur/history/article13417816/Fund-bestaetigt-Justizmord-am-Juden-Oppenheimer.html