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Literarische Mischpoche (Teil 5)

Verlegt euch doch selbst!

 

Die literarische Mischpoche verändert sich – fortwährend, naturgemäß, neue Gesichter kommen, bekannte Antlitze verschwinden. Konstant bleibt nur das Wehklagen, als wäre es in die Berge und Täler, in die Auen und Wälder der literarischen Landschaft eingeschrieben. Was mich neben all dem bereits erwähnten beunruhigt, ist die Tatsache, dass manche der großen Verlage dazu übergegangen sind, in ihren Absage-e-Mails explizit Selfpublishing zu empfehlen, um im Nebensatz auf das eigene Netzwerk werbend hinzuweisen. Zusätzlich zum Vermerk der Notwendigkeit einer Vermittlung durch Agenturen. Als wäre es ihnen ein Anliegen zu ihren Urahnen im Druckgewerbe zurückzukehren, arbeiten sie daran, ihre Arbeit abzuschaffen; zeitgemäß ist das, durchaus, blickt man in Filialen der Post und der Banken, in Fabrikshallen. Diese Formbrief-Nachrichten erhielten nicht bloß Neulinge, sondern auch etablierte Geschwister der Mischpoche, die seit Jahren in der gehobenen Literatur zu Hause sind. Oberflächlich betrachtet könnte man in dieser Mail die hilfreiche Hand sehen, die gereicht werden solle, um aufgrund der begrenzten eigenen Programmplätze den Versuch zu wagen, Literatinnen diese Form der Publikation schmackhaft zu machen. Um es so zu lesen, müsste man jedoch schon sehr naiv sein, denn es ist hinlänglich bekannt, dass bei dieser Publikationsform einzig die Genre-Literatur eine Chance hat; und die viel beworbene ›oftmalige‹ nachher erfolgende Übernahme in den ›regulären Verlag‹ hält keinerlei Überprüfung durch die Realität stand. Da mögen noch so viele Verleger*innen oder Agenturen erwähnen, dass sie sich die erschienen Werke der Selfpublisher »genau angucken« – Verzeihung: eh nur »die Funktionierenden« –, wodurch die Verlage implizit von jenen Werken sprechen, welche die Masse erreichen können; und nicht von Literatur als Kunstwerk. Auf den Homepages kann ich trotz wiederholter Suche nichts Relevantes finden; bei  Twentysix wurde seit Oktober 2015 nur eine Belletristik-Autorin in den regulären Verlag unter dem Random Dach übernommen. Andere machen hierzu von vornherein keine Angaben, und wenn ich in den Gesprächen um Namen, statistische Daten bitte, kommt kaum mehr als eine Nennung. Die Vertreter des Selfpublishing sind bemüht, mir dies als Entscheidung der Autor*innen zu verkaufen, die aufgrund ihres überwältigenden Erfolges keineswegs in herkömmliche Strukturen zurück möchten. Sprachlos bin da auch ich, denke an Gespräche mit Geschwistern in der Mischpoche, die in diesen Feldern publizieren und die mir klagten, weder nehme der Buchhandel noch das Feuilleton sie wahr, und selbst als Referenzwerke bei der Einreichung zu Preisen oder Stipendien sei ihre Arbeit zumeist ausgeschlossen. Das wahrhaft ins Auge fallende Problem des Selfpublishing ist nämlich bis heute der Vertrieb, der weder damit erledigt ist, dass ISBN und VLB versorgt werden, noch Rechnungslegung und Versand an Endkunden problemlos bewerkstelligt werden.

Erfolgreiche Selfpublisher gibt es laut den Vertretern dieser Form der Publikation vor allem in »den klassischen großen Genres: Romance, Liebesromane und Krimis funktionieren immer gut. Das sind die Genres, die immer viel gelesen werden. Innerhalb dieser großen Genres bilden sich dann immer wieder Subgenres, die dann Trends erleben. Vor zwei, drei Jahren waren das z.B. Psychothriller mit weiblicher Ermittlerfigur.« Iris Kirberg fügt das Genre Fantasy hinzu, »[…] das aufwändiger ist im Schreibprozess, weil Autoren ganze Welten erschaffen.« Als täten das alle anderen nicht! Mehr braucht man zu dieser umfassenden Sicht auf die Narration wohl kaum zu sagen, wir sprechen eben nicht die gleiche Sprache.

 

BuchLAAden, Laa/Thaya
BuchLAAden, Laa/Thaya

Was uns Literat*innen im Selfpublishing nämlich fehlt, ist der Buchhandel, den Alexander Simon als einzigen Ort der Kund*innen für »anspruchsvolle Literatur und anspruchsvolles Sachbuch« definiert. Schlicht und ergreifend, weil wir unserer Verwandten bedürfen, den versierten Buchhändlern und belesenen Buchhändlerinnen, »die sich für diese Bücher einsetzen, und die Titel nicht irgendwo auf einen Tisch stapeln, wofür der Verlag im Zweifelsfall noch Geld bezahle, damit sie sichtbar seien. Das wird auch in Zukunft nicht der Weg sein, um das, was wir Weltliteratur oder bedeutende Sachbücher nennen, unter das Volk zu bringen.« 

Ein Blick in die Literaturgeschichte beruhigt nicht: Was vor 1920 zumindest eine Möglichkeit war, ergatterte man nicht einen der begehrten Plätze im renommierten Feuilleton, um ebenda in Fortsetzungen zu erscheinen, für hitzige Debatten, Skandale und manchmal für juristische Arbeitsplätze zu sorgen, war Selfpublishing. Zahlreiche Klassiker bis zur Moderne erschienen auf jene Art, das Feuilleton lag nicht in den letzten Zügen, sondern schuf von Essay über Kritik bis hin zum Vorabdruck mit am Sprachkunstwerk. Nur waren damals auch alle anderen Verwandten der Mischpoche in frühen Entwicklungsstadien – wieso verweist keiner meiner Gesprächspartner darauf? Jedenfalls lässt sich die Problematik des Vertriebs keineswegs ›Kinderkrankheit einer Branche‹ nennen. Daniel Mursa bringt es trocken auf den Punkt, indem er konstatiert, dass sich eine Publikation im Selfpublishing für Literat*innen »nicht lohnt«. Unser Köpferollen wird also kaum dadurch eingedämmt werden können; bestenfalls wird es verzögert, vielleicht. Was die Geschwister der Mischpoche untereinander bereits munkelten und zum Beweis vorlegten, wollen mir Verleger*innen nicht glauben, undenkbar sei, was ich über jene Absage-e-Mails erzähle. »Das ist total bescheuert!«, echauffiert sich Kristine Listau. »So ein Verlag macht damit seine eigene Arbeit wertlos; und die Verlagsarbeit im Allgemeinen.« Die Empfehlung, sich eine Agentur zu suchen, könne sie hingegen nachvollziehen. Ihrer Erfahrung nach habe es einen anderen Effekt, träte eine Agentin, ein Agent an sie als Verlegerin heran und frage sie, ob sie nicht mal in jene Arbeitsprobe hineinlesen wolle. Für die Flut an unverlangt eingesandten Manuskripten fehle schlicht die Zeit. Womit wir wieder bei ›alle Welt schreibt‹ angelangt wären. Das Karussell dreht sich, Veränderungen nehmen Platz, und selbst wenn Selfpublishing seitens der restlichen Mischpoche noch immer kritisch beäugt wird, sinke Abwehr und Häme, die spitzen Finger will man sich nicht gönnen, zu unsicher ist, wohin dieses Schiff navigiert, und ob man es vielleicht nicht doch einmal noch brauchen könnte. 

 

Daniela Koch, Rotpunktverlag
Daniela Koch, Rotpunktverlag

Eine Gefahr sieht Daniela Koch jedoch klar im Nimbus, den Autor*innenschaft bis heute habe: Auch Selfpublisher träumen von der großen Karriere, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach nie erfüllen wird. Etablierte Literat*innen ins Selfpublishing zu schicken sei in ihren Augen »ganz problematisch«: »Ich versuche nach wie vor eher die andere Strategie, versuche eine gewisse gegenseitige Treue. Ich bleibe dran, wenn ich an den Autor glaube und von ihm überzeugt bin.« In dem Wissen, wie rasch sich das Blatt wenden könne – eine Rezension in einem relevanten Feuilleton, eine Nominierung für den Buchpreis, solches genüge bereits, um drei Schritte am Spielfeld weiter nach vor zu gelangen. »Das ist natürlich ein wunderbares Feedback und bestärkt einen darin, dass man den Glauben nicht verlieren darf. Ich sage das den Autoren oft: Dass man eine gewisse Sturheit entwickeln muss, weil natürlich auch der Literaturbetrieb Moden unterworfen ist. Und es gibt immer Gegenströme oder Momente, wo man jenseits der Moden reüssieren kann.«

 

Daniel Mursa, Agentur Eggers
Daniel Mursa, Agentur Eggers

Im Gegensatz zu den Verlagen, die sich bemühen, keine Abwertung laut werden zu lassen, lieber von ›Herzblut‹ und ›Arbeitsleistung‹ sprechen, stehen die Agenturen diesem Verwandten der Mischpoche weniger geschlossen gegenüber. So arbeitet Daniel Mursa in der »Agentur Eggers« durchaus mit dieser Option: »Wir gehen bei manchen Autoren diesen Weg, wenn die Verlage das Buch nicht möchten, und es die Autoren glücklich macht, versuchen wir, sie auch im Selfpublishing zu unterstützen, mit uns an ihrer Seite kann anders verhandelt werden.« Alexander Simon hingegen betont zwar gleichfalls die persönliche Entscheidung, räumt jedoch ein, er halte von dieser Publikationsform wenig, die er der »Mutlosigkeit in den meisten deutschsprachigen Lektoraten« und ihrem Schubladendenken anlastet. 

Anya Schutzbach, Weissbooks
Anya Schutzbach, Weissbooks

Anya Schutzbach, Verlegerin bei »Weissbooks«, findet die Empfehlung zum Selfpublishing in Formbriefen der Absage absolut unvereinbar mit ihrem verlegerischen Credo: »Ich komme aus der Suhrkamp-Schule, wir schätzen die Autoren über alles. Suhrkamp sagte, der Autor stehe in jedem Falle immer haushoch über uns und ist nicht nur der pure Content-Lieferant. Und wenn mir der Content nicht mehr passt, verweise ich ihn an eine andere Verwertungsmaschinerie? So kann und möchte ich nicht mit meinen Autoren arbeiten.« Offen für neue Denkwege, verweist sie auf ein Zukunftsprojekt, welches entstand, da manche ihrer besonders geschätzten Autor*innen eben ein kleineres Publikum erreichen, weshalb man begonnen habe, eine weiterentwickelte Form des e-books zu diskutieren, um diese Werke auch in Zukunft machen zu können und dabei trotzdem kein zu großes verlegerisches Risiko eingehen zu müssen. Selbst wenn die Kosten im Vorfeld für Lektorat, Korrektorat, Satz und Covergestaltung alsdann identisch wären, liefen dennoch in der reinen Produktion sowie an Lagerkosten geringere bis keine Summen an. Entschieden habe sie dies bislang noch nicht, doch jene Option sei ihr ein Nachsinnen wert.


Photos: Robert Gampus, Arthof

 

FORTSETZUNG Teil 6: am 7. Juli 2019