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Literarische Mischpoche (Teil 6)

Thorsten Simon & Iris Kirberg, Books on Demand
Thorsten Simon & Iris Kirberg, Books on Demand

Seine Mischpoche kann man sich nicht aussuchen; das gilt auch für die anderen Mitspieler im literarischen Feld. Mit den Vertretern und Vertreterinnen der Selfpublishing-Angebote werde ich meine Probleme haben. Zu sehr erinnern mich ihre Sprachangebote und Worthülsen an die Floskeln der Handelsvertreter für Lebensversicherungen, welche bereits die Geburt eines Kindes zum Anlass nehmen, einem ins Gewissen zu reden, man habe sein eigenes Leben und dasjenige des Neugeborenen sogleich zu versichern. Als gäbe es im Leben eine einzige Sicherheit außer dem Tod; und der kommt ohnedies. Doch eines sei gleich zu Beginn anerkennend angemerkt: Die Professionalität der Vertreter von Books on Demand ist beeindruckend. Thorsten Simon und Iris Kirberg sind nicht nur exzellent ausgebildete Rhetoriker*innen, sondern zudem enorm gewissenhaft, was Termine betrifft, prompt wird jede e-Mail beantwortet. Zeitdruck, Markenzeichen der restlichen Mischpoche, scheint hier nicht zu existieren. Dass mir ihre Sätze jedoch nach den ersten Zwischenfragen einstudiert vorkommen, das ist eine andere Geschichte.

 

Marketing ist alles

 

Bei BoD sowie  Twentysix bemüht man sich um positive Nomen, da ist von Freiheit und Demokratie die Rede. Davon, dass sich diese großen Inseln, welche die Aussteller des Selfpublishing durch eine Horde von Mitarbeiter*innen auf der Buchmesse bespielen, durch Menschen finanzieren, die ihnen ihr Werk und ihre Hoffnung anvertrauen, wird lieber nicht gesprochen. Ihr Credo ist der Markt, nicht die Literatur. Was dazu führt, dass»mittlerweile jedes dritte neue Buch ein Selfpublishing-Titel« ist, so Thorsten Simon. Autor*innen würden sich bewusst für diese Form entscheiden, keineswegs da Verlage sie ablehnten, wie Daniel Mursa sagte, »sondern weil sie die Kontrolle schätzen.« Sei es über das Zeitmanagement, das Cover oder den Klappentext. Neben den Webinaren und anderen Bildungsinitiativen sei es BoD ein Anliegen, Autor*innen, die bei ihnen publizieren, auf Services wie Lektorat, Korrektorat und Coverdesign hinzuweisen. Die Entscheidung dafür oder dagegen sei jedoch jedem Einzelnen überlassen. – Oder der Fülle seines oder ihres Portemonnaies, ergänze ich. Auf solche Reflexionen mag man hier verständlicherweise nicht eingehen; doch legt man Wert auf eine Grenzziehung gegenüber den Druckkostenzuschussverlagen (DKZV). Mit Verlaub, mir dünkt diese eher ein gradueller Unterschied zwischen Regen und Traufe. 

Ein Beispiel bei BoD: »Die Autoren übertragen nur die Vertriebsechte an ihren Büchern. Sie können auch bei uns jederzeit kündigen. In diesem Fall gehen die Rechte zurück an den Autor. Das heißt: Man hat keine Knebelverträge wie es bei DKZV der Fall ist.«

Zweitens betont BoD gerne, es bestehe keinerlei finanzielles Risiko, es sei nicht wie bei DKZV eine Vorfinanzierung der Auflage nötig, denn gedruckt werde einzig, was verkauft sei. Als ich mich erkundige, wie sich dies bei Lesereisen verhielte, erklärt man mir, es stehe natürlich jeder Literatin, jedem Literatin hierfür Exemplare zu ordern. Und zu bezahlen.

Yvonne Uelpenich, Twentysix
Yvonne Uelpenich, Twentysix

Yvonne Uelpenich von Twentysix: »Es ist so, dass sich der Autor eine Kleinauflage drucken lassen kann, die er dann fest abnimmt. Wenn aber die Buchhandlung, in der die Lesung stattfindet, die Bücher über den Großhändler bestellt, kann der Händler diese remittieren. Der Buchhändler hat ein Rückgaberecht.« Autor*innen hingegen nicht. Die Höhe des Rabatts könne sie mir nicht sagen, auch keine ungefähre, dazu sei der Preiskalkulator auf der Homepage da. Ich habe den Versuch unternommen und rate jedem zu gleichem Prozedere, eingedenk dass zusätzlich die Kosten für die ›einmalige Gebühr‹, Lektorat, Korrektorat, Coverdesign und Satz zu eigenen Lasten gehen. Damit kauft man sich eine ISBN, wird im VLB und Barsortiment gelistet. Wie schön klingt jedem Naiven der Satz, man sei »überall im Buchhandel erhältlich«: Dieser Bär ist zu schwer, um stoisch getragen zu werden. An und für sich ist es natürlich eine rein theoretisch korrekte Aussage. Dass diese die Gegebenheiten der Branche, insbesondere des Buchhandels, außer Acht lässt, wem ist das anzulasten? Dass der stationäre Buchhandel ein klassischer Betrieb ist, der Wert auf den Besuch der Verlagsvertreter*innen legt, die seit jeher kamen, um neue Titel anzupreisen?

 

 

»Im Self-Publishing gibt es keine klassischen Verlagsvertreter. Eine Besonderheit unserer Titel ist in diesem Zusammenhang, dass sie bereits über besonders gute Metadaten verfügen. Das heißt, dass sie über Warengruppen und Schlagworte einfacher von Lesern entdeckt werden können«, formuliert Iris Kirberg. Schlagwörter und Hashtags statt Menschen. Ich befrage Michael Lehner, Besitzer ›meines‹ lokalen BuchLAAdens nach VLB und VLB-Tix (eine Marktübersicht über Novitäten), deren Nutzung sich die Selfpublishing-Anbieter preisen als wäre es das Ei des Kolumbus. Ob er jemals diese Programme verwende, mache er sich über Neuheiten schlau? Nein, schreibt er mir zurück. Beides seien ihm pure Nachschlagewerke für Bestellungen auf Kundenwunsch, wüssten diese willigen Käufer*innen die nötigen Detailinfos nicht. Lieber spreche er mit Menschen als mit Maschinen und vertraue den Vertretern sowie den klassischen Verlagsvorschauen. ›… wir sind die Relikte aus dem vorherigen Jahrhundert …‹, denke ich, doch nun, gegen Abend, ist mir nicht mehr zum Lachen, selbst wenn es wohl der Wahrheit entspricht: #dialogistmirlieber 

Einen solchen versuche ich am Twentysix-Stand mit Yvonne Uelpenich, denn die Koje ziert eine Paperwall, die wohl jede Buchliebhaberin konsterniert aus der Wäsche gucken lässt. Darauf ist ein Regal abgebildet, die Werke jedoch weisen mit ihrem ›Gesicht‹ nicht zum Betrachter. »Wir haben die Rückwand mit den umgedrehten Büchern als Selfie-Wall konzipiert. Deshalb steht hier auch ein leeres Buch, damit Autoren, die ihr Werk noch nicht veröffentlicht haben, sich angesprochen fühlen. Wir möchten ihnen zeigen, dass nächstes Jahr ihr Buch hier bei uns im Regal stehen könnte.« 

Aha, denke ich. Keinesfalls möchte ich meine Werke so gereiht sehen, abgewandt, damit kein Mensch nach ihnen greife. Mir ist es lieber, sie stehen an all die anderen alten Freunde geschmiegt geduldig im Regal, harren derer, die im Vorbeigehen die Buchrücken kosend streifen, sich an Lektüreerlebnisse erinnernd, greifen danach und blättern … An diesem Eindruck ändert auch das daneben montierte Bücherbord mit ausgewählten Publikationen nichts, aber das ist vielleicht meine Geschichte, denn ich erinnere mich gut an die Bibliotheksbesuche als junge Erwachsene, da ich selbst bereits an einem Manuskript schrieb und tagträumte, ich würde eines Tages zwischen diesem und jenem Titel im vollen Regal stehen, beheimatet unter den bekannten Kolleg*innennamen …

 

›Der Autor der Zukunft ist eine Marke‹, davon ist man an diesen Ständen überzeugt. Iris Kirberg glaubt an ihn als Zukunftsvision: »Durch die Nähe der Autoren zu ihren Lesern und die Unverwechselbarkeit ihrer Marke, ergibt sich eine starke Verbundenheit mit der eigenen Leserschaft und die Bildung einer Community, die sich heute schon abzeichnet: Ich bekenne mich zu einem bestimmten Genre oder zu einem bestimmten Thema.« Also einmal Liebes-Schmonzette, immer Liebes-Schmonzette? »Gerade im Self-Publishing haben die Autoren die Freiheit, verschiedene Genres oder literarische Gattungen auszuprobieren. Dies nutzen viele Autoren beispielsweise unter Verwendung eines Pseudonyms«, antwortet mir Thorsten Simon.

Die Erwartung an eine Marke jedoch darf ebenso wenig wie ihr Image enttäuscht werden, schließlich ist dies ihr ideeller Nutzen – dass man wisse, was man kaufe. Vielleicht sollten wir ein EDV-Programm entwickeln, welches bloß ein paar Sätze durcheinander wirbelt, neues Cover drauf, schon ist das alte Werk ein jüngstes? 

Im Ernst: Den siebten Aufguss des Gleichen? Will ich weder lesen noch servieren müssen, dazu liebe ich die Literatur viel zu sehr. Und weder ›Qualität‹ noch ›Unvorhersehbares‹ scheint mir geeignet, als ›Marke‹ akzeptiert zu werden. Ich halte mich lieber an die Unabhängigen und – ›Kein Defätismus, bitte!‹ – hoffe darauf, dass Angst der größte störende Faktor im heutigen Getriebe ist, tue das Meine um Veränderungen am Buchmarkt gegenzusteuern, denn ›aufgeben‹ gehört zu Post – ebenso wie ›die Marke‹ … 

 

»Der Reiz des Neuen und der Reiz des sehr Bewährten verdrängen die Mitte. Nur ist es auch in unserer Mischpoche wie in der übrigen Gesellschaft: Die Mitte ist es, welche die Family trägt. Fällt die weg, dann …«, schrieb mir ein Cousin der Presse jüngst, und wir wussten beide wofür seine drei Punkte stehen. Hier schließt sich erneut der Kreis, denn die Mischpoche ist Teil der Gesellschaft, und was sich in ihr in ihrer Ganzheit zeigt, weist das Segment gleichfalls auf. Geht man davon aus, die soziale Mitte zeige, was gesellschaftlich normal sei, wie der Arbeits- und Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre konstatiert, so bringt ihre Ausdünnung und ihre mangelnde Sichtbarkeit ein gesamtgesellschaftliches Problem mit sich … 

Ich bin versucht, Theodor Fontane zu zitieren, der den Vater seiner Titelheldin allzu gerne ausweichend mit »Das ist ein weites Feld!« antworten ließ. Für heute jedenfalls ist es zu spät, sich darüber auch noch den Kopf zu zerbrechen, der Gedanke, im Notizbuch notiert, darf eines neuen Tages harren, es dunkelt bereits, als wir wieder ins Auto steigen. Wortspenden, Bilder und Eindrücke im Gedächtnis, die mich noch länger beschäftigen werden, fahren wir gen Osten durch die Nacht. Gegen die Schläfrigkeit kämpfe ich an, bis ich kurz vor Brno weiße Rentiere sehe, welche über die Autobahn auf uns zu laufen, fliegende Hähne von rechts nach links; ich blinzle – nichts, es ist nichts. Nicht einmal die Passanten, welche Regenschirme schützend über ihre Köpfe halten und frohgemut die Straße queren, sind real. Diese Erzählung der Müdigkeit hält uns die letzten Kilometer munter, ich trällere ein Lied über blaue Himmel. Nichts ist um uns, nur die Nacht, und bald beginnt ein neuer Tag …

 

Quellen:

Arrowsmith, Nina, Agentur Arrowsmith. Interview mit Marlen Schachinger, 27.03.2019.

Alanyali, Iris: Ausweitung der Kampfzone. In: Die Welt. 23.03.2002. Vgl.: https://www.welt.de/print-welt/article380692/Ausweitung-der-Kampfzone.html?wtrid=amp.article.free.comments.button.more – Zuletzt eingesehen am 08.04.2019.

Becker, Thomas: Wer gehört zur "Mitte der Gesellschaft" und wie misst man sie objektiv? mdr, 01.11.2018. Vgl.: https://www.mdr.de/mdr-thueringen/th-redakteur-mitte-gesellschaft100.html – Zuletzt eingesehen am 11.04.2019.

Gropp, Petra, S. Fischer Verlag. Interview mit Marlen Schachinger, 21.03.2019.

Kirberg, Iris, BoD. Interview mit Marlen Schachinger, 21.03.2019.

Koch, Daniela, Rotpunktverlag. Interview mit Marlen Schachinger, 21.03.2019.

Listau, Kristine; Sundermeier, Jörg, Verbrecher Verlag. Interview, 19.03.2019.

Mursa, Daniel, Agentur Eggers. Interview, 21.03.2019.

Rilke, Rainer Maria: Briefe an einen jungen Dichter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1996. S. 13. 

Roesler-Graichen, Michael: Der Buchmarkt verliert vor allem junge Käufer. In: Börsenblatt, 18.01.2018. Vgl.: https://www.boersenblatt.net/2018-01-18-artikel-studie_des_boersenvereins.1422566.html

Schutzbach, Anya, Weissbooks. Interview, 21.03.2019.

Simon, Alexander, Agentur Simon. Interview mit Marlen Schachinger, 21.03.2019.

Simon, Thorsten, BoD. Interview mit Marlen Schachinger, 21.03.2019.

Uelpenich, Yvonne, TWENTYSIX – Der Self-Publishing-Verlag, www.twentysix.de. Interview mit Marlen Schachinger, 21.03.2019.

 

Photos: Robert Gampus