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»Schau:Schreiben« Ein Selbstversuch.

 Die Idee kam mir in schlafloser Nacht, als mich Tagesreste in Unruhe umtrieben, und selbst mein vielgeliebter Baldriantee das Denkrad nicht stoppen konnte. Aus der dieser Tage öfters gehörten und wohl eher ungeschickten als boshaften Frage »Haben Sie schon jemals irgendetwas publiziert?« und dem Erleben des Buchhandels vor Ort, der die Anwesenheit einer Stadtschreiberin in keiner Weise für sich zu nutzen weiß – mit einer Ausnahme –, führte zum Nachtgedanken: Stellen die mein Werk nicht zum Verkauf in die Auslage, damit ich mich fürderhin nicht mehr mit ignoranten Erkundigungen konfrontiert sehe, setze ich mich eben in persona dort hinein.

Die Reflexion zum fragenden Terminus verkürzt und an Cordelio Malavasi in der Buchhandlung Friedhuber gesandt. Verborgen unter drei, vier anderen Ideen. Ein dezenter Versuchsballon. Seine Reaktion überraschte mich: Bei »Schau:Schreiben« sei er dabei!

Nun, denn … 

Meinen Kontaktmann Stefan Haslinger in der Stadt informiert und angefragt, ob es möglich sei, einen Beamer, eine Leinwand zu organisieren. »Mein Name ist Stefan und ich löse Probleme«, lautete seine Antwort.

Die künstlerische Intervention »Schau: Schreiben« konnte beginnen. Der Pressetext war rasch verfasst: 

»Was Marlen Schachinger schreibt, wird auf eine Leinwandprojiziert und somit einsehbar, Einblicke in den Schreibakt werden möglich. Die Rollen kehren sich in diesem Setting um, denn normalerweise ist die Literatin diejenige, welche ihre Umgebung, die Passant*innen in den Straßen, ihre Bewegungen, ihre Mimik, ihre Themen wahrnimmt, reflektiert und final im Werk still und heimlich porträtiert. »Schau:Schreiben« ist ein Akt der Irritation, der Passant*innen dazu motivieren soll, in Kontakt zu treten. Nicht nur dass im Gespräch so manches über das literarische Schaffen erfragt werden kann, die vorherigen Beobachtungen des Arbeitsprozesses thematisiert werden, sondern es dient außerdem der visuell-sichtbaren Verdeutlichung, wie Literat*innen heute ihre Haut zu Markte zu tragen haben. Eine Intervention, die vielleicht gleichfalls Gespräche zu diesem Thema anzuregen vermag.«

Das Echo darauf auffallend positiv!

Die innere Unruhe der Tage davor mit dem Gedanken an den Lehrakt besänftigt: Auch er erfordert oft die Preisgabe ad hoc, das Schreiben auf der Tafel, um einen holpernden Satz eines Studierenden in mehren Varianten von steiniger Last zu befreien. Das Arbeitspensum jenes Tages auf dem Filofax-Blatt notiert, die Tasche mit allen nötigen Materialien gepackt.

Am Morgen des Selbstversuchs wachte ich vor dem Läuten des Weckers auf. Draußen lag die Welt noch in Dunkelheit. Im aufsteigenden Dampf des Morgenkaffees die Erinnerungswehen des Traumes, der mich aus der Nachtruhe warf: Mein Körper deformierte sich, das Rückgrat zusammengezogen, in krummer Verkürzung, ein buckeliger Haken, darauf ein Kopf, forteilende Beine und die Finger auf ewig über zwei Tastaturen hastend, eine rechts, eine links …

Man muss kein Freud sein, um darin zu lesen, dachte ich, als ich vor der Buchhandlung auf das Aufsperren der Glastür wartete. Umbauarbeiten taten not. Cordelio nahm es gelassen. Regale verschieben, umstürzende Puppen sichern, die Abteilung Kalligraphie wanderte rasch entschlossen auf einen Paketstapel. Wenige Minuten vor zehn war alles bereit: Ich nahm Platz, begann zu schreiben:

»Daily Journal, 07.10.2019: Ich beginne meinen Arbeitstag mit dieser klassischen Übung, die vergleichbar ist mit den Dehnungsübungen der Tänzer*innen. Oder den Skizzenbüchern der Maler*innen. Die Aufgabenstellung ist denkbar einfach; wenigstens auf den ersten Blick: Stelle die Uhr auf 15 Minuten, schreibe …! Was einfällt, wird notiert, ohne Reflexion. Nimm wahr, was du siehst …

 

Der Blick aus dem Fenster – dieses Mal auch in seiner Umkehrung … Würde man glauben. Sonderbar, wie wenig Passant*innen sehen. Es mag durchaus am Regen liegen, der zwar mittlerweile nachgelassen hat, aber dennoch: Er beengt den Blick. Wer an der Ampel wartet, sieht stur geradeaus. Wer zu Fuß unterwegs ist, spaziert versonnen, das Augenmerk aufs Trottoir gesenkt. Ein Herr mit Kappe eilt vorbei, hebt den Kopf, im Forteilen noch, ein Blick auf mich, perplex sieht er aus, wir starren einander an – doch ist seine Verwunderung nicht umfassend genug, um innezuhalten. Mit einem Ruck wendet er sich ab, seinem Tagesgeschäft zu: Weiter geht’s. Frühstück im Gehen, aus der Papiertüte einer Bäckerei. Eine Dame im Laden hinter mir erzählt von einem Kind, ihr Enkel wohl, der Kleine säße bereits  wie Mozart am Klavier. In diesen Zeiten, denke ich, sollte man ihm den Weg in die Kunst eher ersparen, sonst könnte sich die stolze Bezeichnung ›Mozart‹ in Wahrheit und Armengrab verwandeln. Im Hinausgehen bleibt sie vor dem Auslagenfenster stehen, irritiert. Ihre jüngere Begleiterin erläutert, schmunzelt, nickt mir zu. Die Ältere traut ihren Augen zu. Passanten gehen zur Arbeit. Oder auch nicht. Zum Einkauf? Das Mobiltelephon in der Hand, am Ohr, am Lenkrad. Als wäre darin die Welt und nicht um uns. Ein kleines Mädchen im rosa Parka, ruft aufgeregt, weist auf mich, in ihrer einen Hand ein Zauberstab, weiß mit rosa Enden, die Mutter zerrt an der anderen, und um die Ecke …

 

Und so weiter und so fort. Es waren vor allem Kinder, die mich bemerkten. Kinder und ältere Menschen. Letztere wagten sich auch gerne in einen Dialog mit mir:

Was ich hier schriebe und wann das fertig sei, wollte man wissen. Das müsse man der Tochter erzählen, die sei Professorin für Deutsch! Ob sie mich anrufen dürfe …?

Und wo erscheine der Essay zu Thomas Bernhards »Frost« – ja, ich arbeitete mittlerweile an diesem Projekt weiter, der 29. November naht ja auch … – und das hier, der Roman über Kuba, das klinge sehr interessant! Ob ich vielleicht ein Werk wüsste, in dem auf wahrhaft literarische Art ein Objekt beschrieben werde, ein Roman, der in der Lehre als Referenztext zu nutzen sei? Schon war bestellt, was mir hilfreich dünkte.

 

Für mich war es spannend, unterschiedliche Textsorten in diesem Selbstversuch eines öffentlichen Schreibaktes zu erproben. Wie einfach war das Daily Journal, wie schwer fiel überraschenderweise der Essay! Trotz aller Lektürenotizen vorab. Was mich im Daily Journal keineswegs mit Besorgnis füllte, wurde in der Aufgabenstellung des Essays zur nervösen Last: das leere Blatt. Aufgrund der sich selbst erklärenden Notwendigkeit einer Explikation der Technik im Daily Journal im Gegensatz zum Essay! Wer außer lehrenden Literat*innen und ihren Seminarbesucher*innen wisse schon Bescheid über Barrett Wendell (1855-1921) und seiner Reflexion zu seinem Lehrauftrag an der Uni?

Das leere Blatt machte nervös, weil ein Essay die Erarbeitung einer Struktur vor dem ersten Satz benötigt. Ich kann nicht sagen, weshalb ich mir nicht die Zeit nahm, das leere Blatt leer sein ließ, oder es mit einer Gliederung füllte, die ich ansonsten niemals niederschreibe, sondern während der Teezubereitung vor mich hinmurmle. Keine Ahnung. Fazit der anfänglichen Planlosigkeit war jedenfalls, dass ich den Eindruck hatte, ich würde mich von Satz zu Satz voran kämpfen. Sehr ungewohnt. Auch die Unmöglichkeit des leisen Murmelns, um die Töne zu erproben, die Varianten zu hören …

Im Gegensatz dazu glückte überraschenderweise die Bearbeitung einer Romanszene, die im Erstentwurf viel zu viel Last der Rückblende mit sich selbst herumzuschleppen hatte und folglich komplett neu geschrieben werden musste. Alles um mich versank – es gab nur Viktor, den langen Gang im Halbdunkel, die angrenzende helle Cafeteria … Mein lieber Freund, der vertraute Protagonist!   

Am späteren Nachmittag sprach mich ein weiteres Mal jemand an, weil Cordelio ihn wie all die anderen zuvor auf mich aufmerksam machte: ein Herr mit deutschem Akzent. Er sei Bernd Roeck, sagte er nicht, aber Namen lassen sich mit ein zwei Hinweisen immer recherchieren, will man ihn wissen. Er komme eben aus Zürich, erzählte er, um in Puchberg bei Wels über Da Vinci zu lesen: Wie sonderbar, da müsse er so weit reisen, um in einer Buchhandlung eine Literatin zu treffen! Schon sind wir mitten im Gespräch über die Literatur, die Arbeitsbedingungen, das Schreiben an und für sich, die Schwierigkeit der Sex-Szene, sagt er, und nein, ich bin nicht seiner Meinung … Aber das ist ein anderes Thema, für einen anderen Essay, finde ich. »Schau:Schreiben« hingegen wird mich begleiten, der erfolgreiche weil kommunikationsanregende Selbstversuch ruft nach einer Wiederholung: Mit Gemurmel! Und Teezubereitung.