· 

Wie Frau es macht, es ist verkehrt. Oder: Gender – ist ja wohl das kleinste Problem!

Die Literatur sei fest in weiblicher Hand, schrieb Brigitte Theissl sinngemäß im »Standard« nach einem Sieg der Literatinnen beim »Bachmannpreis« im Jahr 2015. Das ist lange her. 

So lässt sich bloß noch hinzufügen, dass die Belletristik ewig schon in weiblicher Hand war: Die Mehrheit der Literaturschaffenden sind Frauen. Kein Wunder, wenn man die Honorarhöhe betrachtet, die uns für die Arbeit als Romancière nach gut eineinhalb Jahren Mindestarbeitszeit offeriert wird. Und eine Literatin lässt sich – foto- und telegen – außerdem besser vermarkten als ihr männlicher Kollege, zumindest solange sie lieblich-jungnaiv in die Welt guckt, und Cellulitis nicht durch das Badewasser schimmert. Da darf sie auch mal gerne Geburt der Venus am Buchcover spielen, die Muschel tauschen wir hurtig gegen Poolkulisse, dafür erhält sie Aufmerksamkeit – oder für ihr wiegendes sich Fortbewegen auf 10 cm+ Absätzen, hinein in den Saal und hinaus: Wird sie stolpern? Das ist die relevantese Frage – das Werk aber, welches sie schuf, wird als sekundäres Element kurz betrachtet, die Bewunderung gilt dem physischen Balanceakt; keineswegs dem lebenskünstlerischen: Make me beautiful, in Zeiten der Selbstinszenierung ersetzt das die Kunst; wissen wir alle. Selbstoptimierung und gläserne Decke ignorieren. Dünn wird die Luft nach oben, an den entscheidenden Knotenpunkten im Literarischen Feld ist Testosteron und Moschus gefragt.

Passt der Hut also noch? Der feministische nämlich. Ein- oder entmotten, das hingegen fragt sich nicht. 

Denn für längere Zeit verwahrt, wohlgeschützt gegen diese gefrässige Insekten, deren Ethymologie übrigens im Dunkeln liegt, das ist der Feminismus seit vielen Jahrzehnten schon, und festgeschrieben im Gesetz: gleiche Rechte, gleiche Bezahlung; das Papier genügt bekanntlich vielen, und geduldig ist es obendrein. Gleiche Karrierechancen – die sind in der Kunst ohnedies nicht einzumahnen, ›Geschmack‹ als Todschlaginstrument funktioniert noch immer einwandfrei, will man sich mit literaturwissenschaftlicher Argumentationskunst nicht belasten.

Doch auch fern des literarischen Feldes: Der Feminismus hat ausgedient; derjenige der 1970er Jahre. Und derjenige der Jahrhundertwende sowieso. Er taugt nicht mehr für unsere Tage. Das Grab ist lange schon geschaufelt, schütten wir es endlich zu und pflanzen sieben Chrysanthemen obendrauf! Unter deren Obhut mag er wohl behütet ruhen. Was wir in diesem Jahrzehnt benötigen, sind doch viel eher Verhüterli in Hülle und Fülle; gegen geistige Trägheit und selbstreferenzielle Blödheit, die meint, mit Gleichbehandlung per Gesetz verordnet, sei die Welt schon in die Waage gebracht: Alles erfülle sich durch pure Papierexistenz, und falls nicht ersinnen wir hurtig 97 neue Paragraphen, und die alltäglichen, unbezahlten Reproduktionsarbeiten wie Kochen, Putzen, Kinderbetreuung werden sich irgendwann von alleine erledigen, der Pay Gap sich schon schließen, und alles andere ist sowieso eine Sache des Rechtsbeistands …

 

Bei einer literarischen Soiree im ORF-Kulturcafé, in welcher der Roman ›Eine sehr kleine Frau‹ von Peter Henisch besprochen wurde, erklärte ein Verleger: ›Man muss bedenken, diese Frau  wäre ja an sich vollkommen uninteressant, wenn nicht der Dichter …‹« 

Sie echauffieren sich? Sie lachen?

Und wiewohl jener es anders meinte, hat sein Wortlaut dennoch recht: Diese Frau, diese Großmutter ist im Henischen Werk vollkommen uninteressant, völlig bedeutungslos! Weil Henischs maskuliner Ich-Erzähler sie dazu macht! Er steht den gesamten Roman über im Vordergrund, die Frau bleibt bloß Folie dahinter; selbst wenn ihr Körper – eine sehr kleine Frau, wie mehrfach auch im Erzählgeschehen betont wird – titelgebend ist. Sie existiert nur am fernen Himmel seiner Erinnerung, ein bloßer Vorwand für den Tanz des maskulinen Ichs um sich selbst.

Das ist schön.

Wenigstens kommt er in Bewegung.

Sie ist so klein, diese Frau, so winzig, dass sie für einen Enkel, der Künstler wird, der bedeutsam ist, nur als Referenzpunkt am Kindheitsfirnament wesentlich ist, damit sie überhaupt ins literarische Universum stolpern darf: als den Enkel bedingungslos liebende Person, bedeutungslos unsichtbar und bedingungslos liebend. Ein Beispiel für viele. Man kann also sagen, was man will – Absicht oder nicht –: Henisch hat gekonnt und in Perfektion und ohne es je zu merken ihre Unsichtbarkeit abgebildet.  Denn Fakt ist: Nur wer gesehen wird, existiert für seine oder ihre Umgebung. Frauen aber haben sich darin zu gefallen – und es sich gefallen zu lassen! – unsichtbar zu sein, unsichtbar gemacht zu werden; früher oder später. Die kleine Großmutter findet sich nur im permanenten Blick auf das männliche Figurenarsenal und in ausgeprägter Echolalie wieder, also ein Sprachverhalten als permanentes Echo, typisch für frühkindliche Sprachformen. Und sie liebt. Das genügt für eine Frauendarstellung in der gehobenen Literatur offenbar noch immer. 

 

Dabei soll doch Literatur das Unsichtbare, das Verborgene sichtbar machen – von ›Aufgabe‹ möchte ich lieber nicht sprechen, sie klingt mir zu sehr nach Transportvehikel und Pflichterfüllung.

Literatur soll den Blick hinter die Kulissen werfen, in die Untiefen der Meere, die Welt, die uns umgibt, abbilden, sich mit ihr auseinandersetzen, ihr zusetzen, sie weiterdenken, eventuell sogar ins Absurde treiben, überspitzen, überhöhen. Das zumindest entspricht meinem Verständnis von Literatur, denn eine, die Rosabrillen verschreibt, und beim nächsten Liebhaber wird sicherlich alles besser, sei’s im Wald oder anderswo, interessiert mich persönlich nicht die Bohne. Sie vielleicht? Und eine Literatur, die nicht kritisch hinterfragt, weshalb Frauenleben selbst im 21. Jahrhundert nur dann bedeutsam sind, wenn ein Mann ihrem Dasein Berechtigung verleiht – sei es an ihrer Seite, sei es seines Blickes wegen –, ebenso wenig. 

Literatur soll piksen und ärgern und rütteln und schmerzen und wüten lassen und unterhalten – ja, das auch! Sie stellt unsere Arbeit dar, für die Lesenden jedoch eine Form der Freizeitgestaltung; sie wird verfasst für Menschen, die nach einer 40-oder-mehr-Stundenwoche zumindest noch eine anspruchsvollere Wegzeit-, Abend- oder WE-Beschäftigung suchen als Next Topmodel, The Voice, Inga Lindström, Dancing Star – Biggest Looser allesamt …

Hinzu kommt: Der Roman ist ein schweres Schiff auf dem Ozean, Volldampf voraus, Aufbruch in neue Welten und Erzähluniversen; -ismen und Ideologien haben darauf nur Platz, wenn sie nicht das Steuerrad umklammern. Absolut d’accord. In den Köpfen der Protagonist/innen, die dieses Erzähluniversum bevölkern, dürfen sie jedoch gerne spuken, so wie sie fernab der Schiffsplanken am Festland unserer Welt ihr Unwesen treiben. Das gilt auch für den Feminismus; selbst wenn auf diesem Feld, wir erinnern uns, höchstens noch die Chrysanthemen blühen. 

Ich habe nichts gegen jene Blumen, fürwahr nicht, Allerseelen ist ihre Zeit, einmal jährlich ein Gedenken: Mimosen in Italien zum Internationalen Frauentag; da gehen wir auf die Straße, brav und tapfer und sichtbar und laut – um danach dem Ehemann die Unterhosen zu waschen, die pubertären Launen der Kinder zu ertragen und in Dankbarkeit für ein anerkennendes Wort des Chefs weich wie Butter zu schmelzen. Nein, ich bedaure, schlage das Kreuz gerne eigenhändig ein, putze die Schiffsplanken, schrubbe und spüle den Literaturdampfer: Die Erzählkunst lässt sich in keinen Dienst nehmen. Kein -ismus hat mir in ihr etwas verloren, kein Dogma, beide gehen mir auf die Nerven, ihre Ausschließlichkeiten, ihre Dummheiten kotzen mich an, und die Nähe zu Formen der Agit-Prop-Literatur der 1968er Jahre wäre mir bedenklich – was trotzdem keinesfalls Blümchen-Literatur und Wald und Wiesen, weite Flur, schöne Unterhaltungswelt bedeutet! Ebenso wenig eine Form des l’art pour l’art. Doch existieren Literat*innen daneben auch als Personen des öffentlichen Lebens, verfassen Artikel, nehmen Stellung, sind für manche Vorbild gar. 

Dass ich im wissenschaftlichen wie im privaten Bereich von Künstler*innen spreche, von Leser*innen und Literat*innen, dass ich im wissenschaftlichen Kontext Wert darauf lege, ›Doktorin‹ genannt zu werden – Falls wir uns schon österreichisch geben und mit Titeln operieren! –, dass ich meine Studentinnen fördere, sie explizit ermutige, sich nicht mit einem halben Himmel und einem Teil des Honorars zufrieden zu geben, sondern für ein ganzes Universum zu streiten – all das ist Alltag, ist Normalität. 

Sie haben Zweifel daran? 

Dann lassen Sie sich doch von mir mit einer Anekdote beglücken:

Auf meine Frage an eine Veranstalterin nach Abschluss einer Lesung, weshalb ich für meine Arbeit nicht das zuvor vereinbarte Honorar erhielte, erläutert sie mir ernsthaft, man habe von mir genommen und dem männlichen Kollegen, mit dem ich gelesen hatte, gegeben: Er habe nämlich Familie zu erhalten … Danach revidiere ich meine Prinzipien der Selbstdarstellung, in der meine Kinder nicht vorkamen, nicht vorkommen durften, wollte ich mir nicht die altbekannten Vorurteilssplitter unter die Haut ziehen: Eine Literatin, die Mutter wird, alleinerziehend, taugt nichts mehr. Wer in den Olymp aus Bachmann, Jelinek, Lavant, Mayröcker, Droste-Hülshoff, Brontë, Sand, Austen usw. aufgenommen werden will, verschweige daher ihre Existenz. Sonst fügt sich an das Nebenher der Küchentischliteratur, Verdacht auf Liebes-, Beziehungsromane inkludiert, nur noch jenes der Kinderliteratur und des Familiendramas: Haushofers Wand umringt uns nach wie vor. Ja, wie Literatin es macht, es ist verkehrt.

Weil ich Frau bin, weil ich entsprechend meinem eigenen Lebenskonzept mein Leben gestalte, das Elfenbein des Turms entbehrlich finde und lieber den Kopf in die Wolken der Phantasie stecke, beide Beine jedoch in der Weltlichkeit der Gegenwart, die Geschehnisse unserer Zeit beobachtend, sage ich, der Feminismus in altbekannter Form hat ausgedient. 

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich bin der Überzeugung, wir haben weitaus dringendere Themen als Feminismus – oder seine modernere Bekleidung mit geringfügiger Ergänzung als ›Gender‹ –, um uns an ihnen zu reiben und ich keine Zeit für die Rolle rückwärts! Ja, auch im Kunst- und Kulturbetrieb, sodass Männer teuflische 66% aller Novitäten im Frühjahrsprogramm für sich beanspruchen dürfen, und Mann öffentlich diskutiert, ob die Manuskripte von Frauen eben ›schlechter‹ seien … Da mag die Belletristik in femininer Hand sein, was die unveröffentlichten Manuskripte betrifft, das Gros der Leser*innen weiblich – doch wir erinnern uns, Brigitte Theissl: »Schriftstellerinnen haben längst den Literaturbetrieb erobert – doch an sie werden nach wie vor andere Ansprüche gestellt.« 

Genau. 

Wir werden reduziert; zum Podiumsaufputz und Photoschmankerl! ›Aber, aber‹ – höre ich manche Kollegin –, ›wenn ich etwas zu sagen habe, soll ich mich dann wahrlich kränken, weil einer schreibt, ich sei nicht nur ein Ohrenschmaus, sondern auch Augenweide? Ist doch nicht so wichtig. Und obendrein ein Kompliment.‹

Wo begrenzt der Objektstatus, den mir die Welt – sei es die literarische oder die alltägliche – ohnedies überstülpen will, meinen mir persönlich angeeigneten Blick als Subjekt in der meinen? Und wo treibe ich selbstbewusst mein Spiel mit ihnen? Wenn er dazu aufrufen will, Augenschafe auf die Weide zu treiben, soll er doch. Und, ja, ich schreibe ficken, Fotze, Möse, Fut und Schwanz, pudern, wenn es darum geht, doch sicher nicht, um die Quote zu steigern. Political correctness hat in Erzählwelten genau so wenig verloren wie ihre sexuelle Schwester. Es interessiert mich auch nicht, ob der Typ in Reihe 3 sich fragt ›Fickbar?‹ Soll ich mir die Bekleidung diktieren lassen, weil ›Sex sells‹ bis heute gilt? Und von Verlegern gerne eingesetzt wird, solange wir Literatinnen dabei ihrem Verkauf dienen, damit bloß keiner Gattin auf die Zehen treten, das Gros der Leserinnen nicht mit Schönheit verärgern und dem Herren Redakteur Verfügbarkeit signalisieren, wir sicher nicht in ›Feminismus-Verdacht‹ geraten – wie Frau es macht, es ist verkehrt. Make me beautiful, neoliberales Optimieren – um den Genuss des Kuchens alsdann abzulehnen, weil seine Rache zu kalorienreich? – Soll ich besorgt schweigen, weil mein Wort gegen Bashing aus Herrenrunde und gegen die Marginalisierung von Literatinnen mir berufliche Nachteile bringt? Und riskieren, dass ich darob beim nächsten Blick in den Spiegel vomiere? Nein. Wie Frauen es machen, es ist verkehrt; dann also lieber mit Rückgrat, Feminismus und Chic.

Lieber gestatte ich mir, von ihrer Oberflächlichkeit zu profitieren, und jene Inhalte zu gestalten, die mir wichtig sind: philosophische Fragen, politische Themen. Und alsdann jedem seine und ihre Lesart: Die nimmt er oder sie ohnedies und sowieso ein.

In der Gesellschaft wie in der Literatur brauchen wir eine zukunftsorientierte, engagierte Klugheit, in der ›Gender‹ ein Faktum, ein logischer Aspekt ist; das noch weitere 50 Jahre zu diskutieren, erlaubt mir meine Lebenszeit nicht. Und die Ihre wird dafür gleichfalls nicht reichen. 

Ich bleibe dabei:

Der Feminismus des vergangenen Jahrhunderts hat ausgedient. Die alten Schuhe passen nicht. Das Thema ›Gleichberechtigung‹ diskutieren wir seit mindestens 200 Jahren, genug geredet, ich will keinen weiteren Tag darüber debattieren, wir haben wahrlich andere, ernsthafte Sorgen, so sage ich es zum allerletzten Mal: Wir nehmen uns den halben Kuchen, her damit, Rosen obendrein. Und auf in die Weite der Welt!