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Moers »Die Stadt der Träumenden Bücher«. Oder: Sommerlesetipp für Freunde der Fantasy, für nicht-knochenstarre Erwachsene und wagemutige Teenager

Wer meinen Drachen-Essay kennt, den wird es nicht verwundern zu lesen, dass ich manchmal Ausflüge in die phantastische Literatur genieße, insbesondere dann, wenn diese intelligent gestaltet ist. Eine Seltenheit, in diesem Genre, gebe ich gerne zu.  Doch wie auch George R. R. Martin zählt Walter Moers mit seinen Romanen rund um Zamonien zu den Ausnahmen, die man bedenkenlos zur Lektüre empfehlen kann. Nach der Bücherdrache möchte ich Ihnen »Die Stadt der träumenden Bücher« nahelegen. 

Nicht eine Skulptur dazu, auch kein Plakat oder ähnliche Fanartikel – offenbar geht es nicht ohne diesen Kram –, sondern das gedruckte Buch, schlicht und ergreifend, samt eigener Phantasie. 

In der »Stadt der träumenden Bücher« schildert Moers den Werdegang des jungen Dichters Hildegunst von Mythenmetz, der noch kein einziges Werk veröffentlicht hat, als er nach dem Tod seines Dichterpatens ein makelloses Manuskript von diesem Betreuer seines eigenen Schreibens erbt. Eine Erzählung, welche so gut ist, dass sie niemals verlegt werden darf – ansonsten würden Leser*innen ja die bisher am Markt angebotene Mittelmäßigkeit begreifen und der Rubel in Zukunft nicht mehr rollen. Deshalb muss das Manuskript verschwinden; und mit ihm sein gegenwärtiger Besitzer, Hildegunst von Mythenmetz, der so unvorsichtig war und unbedingt herausfinden wollte, wer dieses einzigartige Werk verfasst hat, wahllos Buchhändler, Buchjäger und Agenten danach befragt, wodurch Hildegunst den Stein ins Rollen bringt, der beinahe zu seinem Tod führt, wären da nicht – die Buchlinge!

Wer Zamonien noch nicht kennt, dem sei verraten, dass ein Buchling ein einäugiges Wesen ist, das sein Leben lang nichts anderes tut, als die Werke eines ausgewählten Lieblingsautors, zu lesen und zu memorieren, damit diese mit Sicherheit in alle Ewigkeit gelesen und nie vergessen werden. Doch nicht nur das: Ein Buchling nimmt durch konstante Lektüre auch nach und nach die Physis und den Charakter seines Autors, seiner Autorin an – man wähle also sorgsam, will man sich nicht als Depressiver in den Tod stürzen oder durch mürrische Eigenheit alle Freunde vertreiben, in stiller Melancholie das Leben enden … Allemal besser man hat sich in wohlrunder Langsamkeit durch die Tage zu schlendern!    

 

Was hier schon implizit anklingt, macht, neben der abenteuerlichen Verfolgungsjagd durch das unterirdische Labyrinth von Buchhaim, den primären Leseanreiz für Erwachsene aus: Die gesamte Branche wird auf höchst vergnügliche Art und Weise durch den Kakao gezogen! Seien es die mehrheitlich bösartigen Bücherjäger, denen die Literatur an und für sich herzlich egal ist, solange bloß die Kasse stimmt, seien es die Buchhändler und Verleger samt ihren Machenschaften und in ihrem Bestreben den Durchschnitt am Leben zu halten oder seien es die Bücher an und für sich, von denen manche einen erheitern, andere einen mit ihrem Weinen anstecken, wiederum andere einem gar fies nach der Ruhe trachten oder vielleicht sogar nach dem Leben.

»Die Stadt der träumenden Bücher« ist – trotz mancher etwas ermüdender Stellen, da der Autor Idee auf Idee häuft, ein sehr gelungenes Beispiel für Cross-Over-Literatur, von deren Lektüre jede und jeder profitiert, mag er oder sie zwölf oder neunundneunzig sein; obendrein beeindruckend illustriert von Walter Moers selbst. Ein humorvoller, intelligenter Schabernack, der schon damit beginnt, dass Moers sich am Titelblatt als Übersetzer aus dem Zamonischen tituliert und in Fußnoten wiederholt darauf verweist, was denn Hildegunst, der (angebliche) Autor dieser Geschichte, der zugleich ihr Erzähler ist, hiermit oder damit gemeint haben könnte und wie denn dies zu verstehen sei: ein phantasievolles und kluges Spiel mit Literaturgeschichte, verpackt in ein Abenteuer!

 

Quelle:

Moers, Walter: Die Stadt der träumenden Bücher. München: Piper 2019.