Ein Muss für alle Schreibenden, seien sie Bernhard-Fans oder solche, die es erst werden wollen: Stefano Apostolos kluge Analyse des bernhardschen Frühwerks

Stefano Apostolo, geboren 1989, studierte Germanistik und Anglistik in Mailand und Heidelberg und promovierte über Thomas Bernhards Werdegang. Doch keine Bange, eine gute wissenschaftliche Arbeit kennt den logischen Aufbau, sie langweilt nie, weiß um die Qualität verständlicher Sprache, sie holpert nicht dahin, gefällt sich in ruhiger Argumentation. Alles, was dem nicht entspricht ist alberne Hirnwichserei. Bei Apostolos Bernhard-Analyse haben wir es also mit allerbester Bettlektüre zu tun – die nur ein Risiko in sich birgt: Dass es plötzlich ein Uhr morgens ist, wenn die Vernunft zum Schließen der Buchdeckel drängt. Wer mir nicht glaubt, soll es ausprobieren!

Wer die Entwicklung von Bernhards Sprache verstehen will, kommt um diese das Denken anregende Arbeit nicht herum: Ebenso wenig wie diejenige, die sich mit diesem Thema allgemein beschäftigen möchte: Wie kann es sein, dass aus dem Nichts ein völlig neuer Erzählton uns überrascht, weil er uns ›plötzlich‹ – auf Papier gedruckt – begegnet? Ist der Autor, die Autorin ein Genie? Natürlich nicht. Zumindest nicht in jenem Sinn. Sondern was uns so frappiert, kommt keineswegs aus dem Nichts, das ist des Rätsels Lösung. Es kennt Vorstufen und Entwicklungslinien in vorhergehenden literarischen Arbeiten, die eben nicht das Licht der Welt erblickten. Klingt simpel und logisch, könnte man ignorant beiseite wischen, ginge man nicht wie Stefano Apostolo in die Tiefe der Gedanken:

Solche Suche nach einer spezifischen Tonlage, wie sie meines Erachtens für jedes Werk aufs Neue nottut, ist für einen Autor, eine Autorin »harte Arbeit, die bestimmt niemand würdigen wird« (Thomas Bernhard) und – ja – oft nicht einmal verstehen. Von »Jakob Zischek« über »Hufnagl« zu »Schwarzach St. Veit« lässt sich die Aufgabe der herkömmlichen Satzstruktur nachvollziehen, die Wörter reihen sich in anderem Rhythmus als gewohnt, die Sätze beginnen zu brodeln, sie eilen voran, auf einen Endpunkt zu, der gleichzeitig hinausgezögert wird. Gleichzeitig liefert uns Stefano Apostolo Einblicke in Thomas Bernhards eigenes Nachdenken über dieses Thema, seine Reflexionen, wie denn mit Sprache ein Gefühl der Hetzjagd erzeugt werden könnte, ein Getriebensein, dass als solches nie behauptet werden muss, weil es sich gestaltet ohnedies abbildet und daher transportiert: Es »[m]uß!!! Muß!!! Muß!!!« (141) gelingen!

Hier klingt schon an, was später – und im Leben jedes Autors, jeder Autorin – eine entscheidende Erfahrung ist: das Ringen, das Scheitern. Denn im Vergleich zum gedachten Werk – Ruderstöße sollen die Sätze sein! – bleibt das real Geschaffene stets hinter dem Imaginierten zurück. Sodass danach ein nächstes Werk nötig wird.

Hier wird dies grandios am Wunsch gezeigt, das Denken nachvollziehbar zu Papier zu bringen! Und die Angst, die beinahe schon Gewissheit suggeriert, am Ende dennoch nie verstanden zu werden. Zumindest nicht in allen Details.

Weitere Themen von breiterem Interesse sind das Fragment als Prinzip, die Rolle der Wiederholung in der Sprachgestaltung, um hierdurch implizit etwas darzustellen, die Wege der Inspiration, die Wiederkehr von Erzählelementen im Werk eines Autors, einer Autorin, der Arbeitsmodus an und für sich, die Notwendigkeit, will man Großartiges schaffen, sich mit der zukünftigen Struktur und dem Erzählton zu beschäftigen. Oder um es mit einem Satz zu sagen: Ein überzeugendes Werk hat komponiert zu werden!

An »Thomas Bernhards unveröffentlichtes Romanprojekt »Schwarzach St. Veit« gibt es als Lektüre nur eines auszusetzen: die Buchstabengröße! Bitte, liebe Verleger*innen, schenkt uns ein paar Bögen mehr und tut uns passionierten Leser*innen, die bis spät in die Nacht und nach Stunden am Computer noch Buchstabenzeilen interessiert folgen wollen, doch den Gefallen und setzt in etwas größeren Lettern! Unsere überzeugte Lesefreude wird es euch danken.

 

Stefano Apostolo: Thomas Bernhards unveröffentlichtes Romanprojekt »Schwarzach St. Veit«. Das Konvolut, die Fassungen und ihre Deutung. Korrektur Verlag 2019.