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Somerset Maugham »Mrs Craddock«: Von Holzklötzen und den guten Tagen der Ochsen. Oder: Was hat »Mrs. Craddock« mit »Lady Chatterley« zu tun?

Cap Ferrat, 1951, photo by Henri Cartier-Bresson
Cap Ferrat, 1951, photo by Henri Cartier-Bresson

Dass »Mrs. Craddock« mein erster Somerset Maugham wurde – zumindest der erste bewusste –, verdankt dieser Roman einer an und für sich lächerlichen Notiz am rückwärtigen Cover:

»[…] was in Lady Chatterley nicht mehr erzählt wird, erzählt Somerset Maugham: wie der Alltag aussieht, nachdem Gutsherrin und Gutsverwalter sich gefunden haben …« 

Und da die Lady Chatterley-Geschichte ein Roman war, den ich durchaus goutierte, wurde das Taschenbuch aus der Wühlkiste gezogen und mitgenommen! (Siehe: https://www.marlen-schachinger.com/2019/03/01/schwanz-und-möse-oder-ein-skandalroman-seine-literaturgeschichte/)

Gut, vielleicht mag auch George Orwells Hinweis, er bewundere »unendlich«, wie dieser »moderne Autor« »machtvoll und ohne Schnörkel eine Geschichte erzählt«, das Seine dazu beigetragen haben.

Fragen Sie mich nicht, warum W. Somerset Maugham gerade jenes Etikett von mir verpasst bekam, ich kann es nicht sagen. Vielleicht der Häufigkeit wegen, mit der er einem bei Flohmärkten und Bücherzellen überschwemmt? Als wäre er einmal in Mode gewesen und danach mehr oder weniger vergessen worden? So oder so, er hatte mich nie interessiert, ich stieß weder in Recherchen noch durch Querverweise auf ihn – und falls doch, war Somerset Maugham die Randnotiz zu einem interessanten anderen Autor, einer faszinierenden Autorin. (Ja, auch Literat*innen und Literaturwissenschaftler*innen haben ihre Vorurteile. Und tun gut daran, sie zu reflektieren.)

 

Wenn verdrießlich erwidert, wild gerufen wird

und Pfarrer flüstern: Alles (k)eine Frage des Stils

 

Das Blättern, da oder dort, durch seine Romane, kam dem guten Herren Somerset Maugham leider auch nicht zu Hilfe: Der Stil ist eben konventionell und er – im Kommentieren – noch ein Autor seiner Geburtsjahre. Recht angenehm zu lesen, ein leises Geplätscher ohne Herausforderungen eben. Die Erzählhaltung – übrigens mit starker Forcierung der Dialoge – gespickt mit erläuternden Kommentaren. (Darin ist er wahrlich höchst modern – ich empfehle im Fall des Zweifels einen Rundgang durch das Novitätenregal.)

 

Wenn Götter an allen möglichen

und unmöglichen Stellen (Un)Klugheit säen

 

Der Inhalt des Romans ist für all jene, die eine oder alle der »Lady Chatterley«-Fassungen gelesen haben, durch den Verweis auf dieses Werk schon aussagekräftig wiedergegeben: Das Begehren einer Frau wird im Zentrum stehen, ihr Bedürfnis nach einer erfüllten und erfüllenden Beziehung, selbst wenn sie durch das Ergreifen solch einer Lebenschance alle Konventionen über Bord zu werfen hat und ihre Zeitgenoss*innen brüskieren wird. Dem wird Somerset Maugham durchaus gerecht: Bertha Ley, Alleinerbin der Ländereien um das heruntergekommene Anwesen Court Leys bei Blackstable, einem Fischerstädtchen im Osten der Grafschaft Kent, lebt, seit sie mit 18 Jahren Waise wurde, unter der Obhut ihrer 45-jährigen Tante Polly, die dem Grundsatz folgt, sich in nichts einzumischen, sowie unter der Vormundschaft des alten Hausarztes der Familie, Dr. Ramsay. Als Bertha ihren 21. Geburtstag feiert, kehrt sie aus London nach Court Leys zurück und trifft dort zufällig ihren Spielgefährten aus Kinderzeiten Edward Craddock, den Sohn eines ihrer verarmten Pächter. Bertha verliebt sich in den jungen Landwirt und setzt die Heirat, die Standesgrenzen sprengt, gegen alle Widerstände durch. Die Beziehung wird bald zum Fiasko, der Diskrepanz der beiden Temperamente wegen: Bertha will Zuneigung, Romantik, gelebte Beziehung. Edward genügt seine Arbeit auf den Gütern, die ihm obendrein gesellschaftliche Achtung und Anerkennung einbringt. Während er sozial aufsteigt, final sogar einen politischen Posten bekleidet, erstarrt Bertha neben ihm, denn plötzlich zählt selbst auf Court Leys sein Wort mehr als ihres – und verantwortlich dafür ist Bertha ganz allein, da sie ihm in anfänglicher Verliebtheit alle Macht von sich aus übergab. Als das erste Kind, ein Junge, tot geboren wird, zieht Bertha sich auch von Edward zurück, flieht zuerst nach London, dann nach Rom. Und Edward in seiner geistigen und emphatischen Enge, seiner mangelnden Fähigkeit wahrzunehmen, bemerkt nicht einmal, dass sie ihn verlässt, denn so etwas kommt ja nicht infrage, da kann seine Frau sagen, was sie sagen will. Obendrein ist er überzeugt, er fahre ohnedies am besten, behandle er seine Frau wie seine Hühner (Man überhöre ihr Gackern.) oder seine Kühe (Bestens versorgen, dann werden sie schon gedeihen.). Eine Denke, die Bertha erst viel zu spät durchschaut (S. 162), was ihr auch nichts nutzt, weil sie nicht begreifen will, dass Menschen verschieden sind und ein anderes Sein von ihm einzufordern vergebliche Liebesmühe ist, die höchstens ihre Kraft verschlingt, aber zu nichts anderem führen wird. 

Zwar kehrt Bertha irgendwann wieder nach Court Leys zurück, die innere Trennung aber ist längst vollzogen. Beide leben – der Streitereien müde – nebeneinander her, sind einander Fremde: Für Edward endlich das Paradies auf Erden. Und Bertha? Sie wartet auf seinen Tod. Als bei der Jagd ein heißblütiges Pferd scheut und Edward tödlich verunglückt, nickt sie bloß: »Der Arme […]. Er war ehrlich und gütig und geduldig. Er tat, was er konnte, und er suchte immer wie ein edler Mensch zu handeln. In der Welt war er sehr tüchtig, und auf seine Art hatte er mich gern. Sein einziger Fehler war, daß ich ihn liebte – und aufhörte, ihn zu lieben.« (S. 284) Und sie wendet sich erneut dem Buch in ihrer Hand zu.

 

Warum der Vergleich mit den Chatterleys ein hinkender Verkaufstrick ist

 

Man könnte, um Bertha gegenüber gerecht zu bleiben, auch notieren: Emphatischer, feinsinniger Mensch heiratet tüchtigen Holzklotz mit ausgezeichnetem Sinn für das Praktische. In dieser Überspitzung fällt auf, wie wenig »Mrs. Craddock« mit »Lady Chatterley« gemein hat, denn der Förster Parkin mag zwar über weniger Bildung verfügen, er ist aber sicherlich kein empathiefreier Holzklotz. Das trifft eher auf Lady Chatterleys Ehemann, den Lord zu, der zwar physisch aus dem Krieg heimgekehrt ist, psychisch aber gebrochen erstarrt.

Darüber hinausgehend würde der Vergleich mit Lady Chatterley auch darauf verweisen, dass die Gesellschaft ob ihrer Starre und Rigidität, ihrer Akzeptanz lebender Toter, solange bloß aller Schein gewahrt bleibt, Kritik erfahren. Diesem Anspruch wird »Mrs. Craddock« gleichfalls nur bedingt gerecht. Gesellschaftliche Kritik wird hier kaum laut; höchstens hinsichtlich der sonderbaren Rollenbilder der Gesellschaft. Verglichen mit seinem 1897 veröffentlichten Debüt »Liza of Lambeth«, in dem Somerset Maugham seine Erfahrungen als Arzt in den Armenvierteln Londons nutzte und bearbeitete und mit seiner naturalistischen Darstellungen die Zeitgenoss*innen brüskierte, bleibt »Mrs Craddock« eher zurückhaltend: Der Erfolg oder Misserfolg der Pächter hat hier einzig mit ihrem Engagement zu tun. Die Frage, ob ererbtes Vermögen, divergierende Bildungschancen und Ähnliches gerecht sind, stellt Somerset Maugham nicht. Dennoch hatte »Mrs Craddock« 1902 zensiert zu erscheinen, erst Fassungen nach 1938 enthalten auch die zuvor getilgten, ›gewagteren Passagen‹. Es könnte durchaus interessant sein, eine Erstausgabe mit der Fassung nach 1938 zu vergleichen. 

Frappierend für die damalige Zeit und männliche Autorenschaft ist auf jeden Fall die erstaunlich eindringliche Darstellung der Aufgabe, ein Kind zu gebären, beginnend bei der durch Ammenmärchen und hohe Sterblichkeit genährten Angst (S. 130), über welche die Männer bloß spotten. Sehr realistisch auch Edward, der über seine kranke Kuh besorgter ist als über das Gebären seiner Frau, schließlich ist das Tier das beste Vieh seiner Zucht, und der Arzt, der ihm gratuliert, weil er alles so gelassen nimmt: die stundenlange Geburt, bei der er nie anwesend war, das tote Kind, zu dem er so oder so keinen Bezug hat (S. 141). Sehr realistisch auch die Einblicke, die der Roman gibt, wie Einzelne mit diesem Todesfall sowie mit Berthas Trauer umgehen. Manche eine*r wird wohl an ähnliche Erzählungen aus dem Ahninnen und/oder Bekanntinnenkreis erinnert werden. Übrigens, die Szene, zwischen der furchtbar bigotten Schwester des Pfarrers und Bertha ist eine der großartigsten Passagen dieses Romans (S. 146ff)! Hier schreibt Somerset Maughams Erzähler seine spitze Zunge, die wahrlich ein Genus ist, der Figur der Bertha ein. Ansonsten tritt diese meist eher in (überwiegend auktorialen) Erzählerkommentaren zutage. Hier ein Beispiel: Die Familie schaffte durchaus die angesagtesten Bücher an, da eine Bibliothek im Herrenhaus schließlich zum guten Ton gehöre, eine kultivierte Tapete im Salon eben. Gelesen wurden all diese Werke jedoch erst, als die Familie »zu arm [wurde] für anderen Zeitvertreib.« (S. 24)

 

Die nährende Kraft der Ironie oder die Frage nach der erzählerischen Gerechtigkeit

 

»Mrs. Craddock« ist übrigens gespickt mit solch kleinen, zumeist feinen Seitenhieben, sei es auf die Lesenden oder auf eine der Figuren: »Er war zufrieden mit der Welt und zufrieden mit sich selbst: es bestand kein Zweifel, daß die Welt, in der er lebte, zu dieser besonderen Zeit und diesem besonderen Ort lebte, die bestmögliche aller Welten war und daß es kein befriedigenderes Dasein geben konnte, als seinen Garten zu bestellen. Da er kein Grübler war, dachte er nicht weiter darüber nach, und hätte er es getan, so würde er nicht Monsieur de Voltaires Ausspruch entliehen haben, von dem er nie gehört hatte und den er als Franzose, als Philosophen und als Schöngeist ohnehin verabscheut haben würde. Die Tatsache jedoch, daß Edward so regelmäßig wie die Ochsen auf seiner Farm aß, trank, schlief und wiederum aß, bewies zur Genüge, daß er sich eines Glücks erfreute, das dem ihren glich – und ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung, was sich ein ordentlicher Mensch sonst noch wünschen könnte.« (S. 160) ) Die Frage, ob Somerset Maugham – gerade im Hinblick auf Edward bzw. auf maskuline Landwirte an und für sich – erzählerische Gerechtigkeit wahrt, ist schwer zu beantworten. Final sicherlich, doch während des Lektüreprozesses sieht der Eindruck manchmal anders aus. Weder gibt es einen anderen Charakter im Roman, der ergänzend fungiert, noch werden solche Spitzen dadurch relativiert, dass alle – mit Ausnahme Tante Pollys – diesen Mann achten, er in der Anerkennung der Gesellschaft zusehends steigt, sie hingegen als ›schwierige, ewig unzufriedene Person‹ sinkt, während er in unseren Augen zur lächerlichsten Figur wird und wir uns über Berthas ausgezeichnete Fähigkeit ärgern, ihr Leid auch noch zu nähren. In den einzelnen Passagen, nimmt man sie für sich, wirkt Edward wie eine Figur, die unserem Spott preisgegeben wird; in der Gesamtschau empfinden wir jedoch wohl eher mit ihm Mitgefühl als mit ihr. Auch dieses Zeitversetzte ist natürlich eine Form, erzählerische Gerechtigkeit walten zu lassen. Meine? Ist es nicht.

Dort, wo die ironische Klinge Somerset Maughams die Leser*innen trifft, fand ich sie weitaus amüsanter: »Ironie ist ein Göttergeschenk und das subtilste aller Ausdrucksmittel. Ironie ist Rüstung und Waffe, eine Philosophie und Unterhaltung, sie ist Nahrung für die nach Geist Hungernden und Trank für die nach Lachen Durstigen. […] Dem Literaten aber ist sie ein Wurfgeschoß, das er dem Leser ins Gesicht schleudern kann, um die verwünschte Ketzerei zu widerlegen, ein Schriftsteller schreibe seine Bücher für die Abonnenten der Mudie-Leihbibliothek anstatt für sich selbst. Täusche dich nicht, holder Leser, ein Schriftsteller, der etwas auf sich hält, schert sich einen Dreck um dich!« (S. 215) Na, so viel zum Thema, man könne Somerset Maugham als leichte Kost konsumieren.

 

 

Quelle:

W. Somerset Maugham: Mrs. Craddock. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Zürich: Diogenes 1975.