Sternlesen 2023

Photo: Su Bauer, NÖN
Photo: Su Bauer, NÖN

Mit dem Fahrrad geht es zur ersten Station: Die Auftaktveranstaltung zu »STERNLESEN« findet in Laa/Thaya im BuchLAAden statt. Der besorgte Blick gen Himmel bringt poppig pinke Gummistiefel an die Füße und lässt mich die Bücher doppelt und dreifach einpacken, bevor ich mich auf den Sattel schwinge, um die 10 Kilometer Wegstrecke zurückzulegen.

Die Sternlesen-Schirmherrin Petra Wimmer, Abgeordnete zum Nationalrat, sendet mir eine Nachricht: Sie sei schon am Weg, der Zug aus Wels über Wien werde sich jedoch ein wenig verspäten. Kaum habe ich diese Nachricht gelesen, steht sie schon in der Tür des BuchLAAdens! 

Vor der Lesung versammelt sich bereits die Regionalpresse, und wir starten, nach absolvierter Fragenrunde, mit meiner Erzählung über die Zeit: »Es schafft Zeit, sich Zeit zu nehmen«, heißt es darin. Zeit – vor allem auch für Begegnungen – nehmen wir uns an diesem Abend auf jeden Fall ausgiebig. Zeit, um über Bücher zu sprechen, Zeit, auch für Gelächter und Austausch:

Wie gut tut es, Leser*innen wieder persönlich zu begegnen!

 

Mein zweiter »STERNLESEN« Tag ist ein Reisetag: Vom Bahnhof Laa geht es über Wien nach Oberösterreich, wo ich im Großraum Wels Station mache, um in den kommenden Tagen von dort sternförmig auszuschwärmen. Meine Route wird mich ins Innviertel nach Schärding führen, ins Lambacher-Herzen Oberösterreichs, wird mich in Wels jene Menschen wiedersehen lassen, die ich während meiner Zeit als Stadtschreiberin schätzen lernte, bevor der Weg über Linz nach St. Pölten gehen wird. Neun Lesungsorte an fünf Tagen; und noch gilt es als Projektverantwortliche manches für die anderen acht Kolleg*innen zu organisieren, hier und dort Feuerwehr zu sein. Vor allem aber auch: Sich danach für die kommenden Tage ein wenig zu erholen, denn solch ein dichtes Wochenprogramm – so toll es auch ist – braucht Kraft und viel Schlaf.

 

»STERNLESEN« Tag 3 startet jedenfalls früh am Morgen, denn dieser Tag steht ganz im Zeichen der Kinder:

Im Saal oberhalb der Bücherei Buchkirchen warten bereits Stühle auf sie, das Bilderbuchkino ist bestens vorbereitet, schon hören wir sie plaudernd und lachend den Weg heraufkommen.

Vorlesen, lauschen, Fragen stellen, über eine Geschichte sprechen, sie weiterdenken: Wen treffen Lore Güldenstern und Große-Katze-Teufelsfratze als nächstes, wer könnte ihnen noch helfen, die Welt vor Farb- und Wortverlust zu retten? Wer könnte die Musik zurückbringen, damit das graue Nx der Blitz-und-Klingel-Gaukler nicht überhandnimmt?

Die Kinder in der Bücherei Buchkirchen in Oberösterreich hatten wirklich tolle Antworten:

Nicht fehlen darf natürlich Hase-Hase-Windkind und seine Freunde HopHop, Flati-fliegt-weg, Uhu Bimbo und der neugierige Papagei Hubert. In Frau Pinsel Oh-Schwein findet sich wahrlich ein genialer (Wortspiel)-Partner, und Kitzikatziwitzikind ist noch ein wenig unschlüssig, ob sie sich der bunte Truppe anschließen mag. Dafür ist Lustaria in ihrer Verlorenheit zwischen hohen Häusern sicherlich höchst motiviert, zur Rettung der Welt beizutragen!

 

Kaum in Schärding ankommen, bricht die Sonne hervor: Genieße den Spaziergang über den Bahnhofsweg in die Stadt, vorbei an stimmungsvollen Löwenzahnwiesen, grüße die blaue Blume und freue mich an der mutig sprießenden Kastanie.

 

 

Nicht nur die Natur will zum Licht …
Nicht nur die Natur will zum Licht …

Über das Linzer Tor komme ich erneut in diese Stadt, um sekundenlang irritiert innezuhalten: Wie noch mal und wo? Obgleich ich bereits hier las – vor-C –, bin ich für einen Augenblick orientierungslos. Oberer Stadtplatz braucht Unteren Stadtplatz, sagt die Logik. Kaum die Gasse hinabgelaufen, leuchtet mir Uli Schachingers Buchhandlung auch schon entgegen:

 

Welch herzliches Willkommen! Und nein, Uli und ich, wir sind nicht verwandt, tragen bloß zufällig den gleichen innviertlerisch-häufigen Namen.

Einige Minuten vor Beginn der Veranstaltung kommt Kollege Thomas Raab zur Tür herein. Er las am Vorabend in dieser Stadt und wollte es sich nicht nehmen lassen, bei diesem Projekt vorbeizuschauen, da er es ganz toll finde, weshalb ich ihn sogleich auffordere mitzumachen: Schließlich liest sich ein Dialog vorzugsweise zu zweien. Und Thomas springt ins kalte Nass, obgleich er die Anekdote erzählt, bereits in der Schule habe er dieses überraschende Vorlesen-Müssen stets gehasst, weil man ihn seiner kreativen Verleser wegen hänselte. So springt der Dialog nach der Lesung zu Lieblingsstellen und -büchern aller Anwesenden: Es gäbe für jedes Buch seine Zeit, sagt eine Frau. Und eine andere spricht davon, dass ihre Lieblingsbücher wechseln: Es sei stets dasjenige, das in ihr nachhalle, dessen Sätze Stunden, Tage nach der Lektüre in ihr noch aufdämmern. Und eine Dritte: Nicht verfilmte Bücher! Denn habe sie diese gesehen, betrübe sie stets die Differenz zwischen filmischer Umsetzung und eigener Imagination.

 

Petra Wimmer, gut gelaunt und voller Tatkraft, eine Frau zum Miteinander-Bäume-ausreißen und für jedes Abenteuer gut!
Petra Wimmer, gut gelaunt und voller Tatkraft, eine Frau zum Miteinander-Bäume-ausreißen und für jedes Abenteuer gut!

Wenig überraschend beginnt daher mein fünfter Sternlesen-Tag mit einem Wecker, der sich nicht belehren lässt. Und während meine Augen noch schlafen, wissen die Füße bereits, dass unsere Schirmfrau Petra Wimmer mich in wenigen Minuten abholen wird, damit wir den anderen vom Kinderfreunde-Team in der Gartenstadt zur Hand gehen können: Tische schleppen, Stühle gruppieren, damit vor dem ersten Gast alles für dieses interkulturelle Frühstück bereit ist. Auch hier ist das Willkommen famos herzlich. Frauen kommen und bringen Köstlichkeiten, ein junger Mann saust mit einem Tablett Falafeln zur Tür herein, schon zischelt man mir zu, er sei darin Meister, ich müsse sie unbedingt probieren. Und Wareniki – der östliche Bruder der Tiroler Schlutzkrapfen – flitzen in einer Pfanne an mir vorbei, sie füllen mit ihrem Duft den Raum, Salate, Obst, Brote und Kuchen … Für jeden Hunger ist gesorgt.

Schon trifft auch Katrin Oberholzer ein. Diese junge Bloggerin postet unter »writing_and_cats« ihre Leseerfahrungen; und sie wird mich an diesem fünften Tag begleiten, wird mich befragen, um darüber zu schreiben. Besonders freut es mich, dass Petra Wimmer auch eine junge Kollegin, Johanna Posch, eingeladen hat. Sie hat zwar bereits vieles publiziert, Kinderbücher, Sachbücher, Erzählungen, jedoch bislang noch nie öffentlich gelesen. Heute nun ist ihr Tag des Mutes, und sie absolviert couragiert und bravourös ihre Feuertaufe.

 

Weiter geht es in Lambach, wo die Mitarbeiterinnen der Meritas Buchhandlung auf dem Klosterplatz für ihre Aktion nach meiner Lesung ein Wissensquiz zu Zahlen und Fakten rund um das Buch vorbereitet haben, das nicht nur spannende Einblicke in die Buchwelt bot, sondern auch manch tiefen Seufzer – insbesondere über die traurige Anzahl der Bücher, die Österreicher*innen durchschnittlich pro Jahr lesen: 4.

Die Vier regt sogleich die Reflexion an, wie viele wohl keines je zur Hand nehmen, da andere die gleiche Anzahl in einer Woche oder zwei genießen. Vorzugsweise abends, im Bett, als Einschlaflektüre. Und ich erzähle von der britischen Studie, die bewies, dass bereits sechs Minuten genügen, für die man einem durchgängigen Text folge, um den Herzschlag zu verlangsamen, den Stresspegel entschieden zu senken, das Leben also folglich nicht nur zu verlängern, sondern auch zu bereichern – durch Gedanken, Träume und Reflexionen. Ebenso wie durch ein Mehr an Wörtern. Ich bin überzeugt: Nichtlesen gefährdet unsere Demokratien. Lesen ist politisch! Es geht auch darum, den Sprachmuskel zu bewegen, damit wir nicht verlernen, uns auszudrücken, in Worte zu fassen, was in uns vorgeht. Nur wenn uns Wörter in all ihrer Vielfalt zur Verfügung stehen, werden wir Wertschätzung erfahren und Gemeinschaft erleben. Beides sind essenzielle Erfahrungen unseres Miteinanders und unserer Demokratie. Wer keine Wörter kennt, hat nur Fäuste und Einsamkeit.

 

Bei Skribo Haas in Wels erwartet mich ein überraschend tiefschürfendes Gespräch – insbesondere mit einer Leserin, und da mich kein Termin drängt, führen wir es ausgiebig, tauschen uns aus über das Lesen, das Lehren, das Schreiben, die Rolle der Medien in der literarischen Landschaft und für sie, denn ohne diese Öffentlichkeit verpufft unser Werk, wird es zu einem Tun für uns selbst. »Ich schreibe für mich und für Fremde. Nur auf diese Weise kann ich es machen«, schrieb Gertrude Stein in »The Making of Americans«, und benennt mit diesem ›Und‹ einen wesentlichen Faktor allen literarischen Schaffens. Es ist eben nicht einerlei, ob etwas einzig für einen selbst notiert wird oder ob es auch nach außen gehen, sich mitteilen wird und soll.

Wir sprechen auch über Heimat und Sich-Beheimaten im Lesen, über Schriftsprache und die Schönheit der dialektalen und umgangssprachlichen Varianten, die Notwendigkeit, alle am Weiterleben zu halten, wollen wir nicht verarmen.

 

Auch meine nächste Station findet in Wels statt: Man hat mich für eine Wohnzimmer-Lesung gebucht, große Premiere für beide Seiten. Und da dem so ist, haben wir jedwede Freiheit für uns, diesen Abend miteinander zu gestalten!

Die einladende Frau entschloss sich, ihre Freund*innen an jenem Abend zu Wort & Suppe in ihr Wohnzimmer zu bitten. Die Gäste trudeln ein, nehmen Platz – es ist eine wirklich neue Erfahrung, und ein klein wenig fühlte es sich an, als würde ich zu Hause meiner Familie einen neuen Entwurf einer literarischen Arbeit vorlesen. Oder – da ich zum Werk eines Kollegen wechsle – als trüge ich spontan eine Entdeckung vor, weil mich dieses Gedicht Hans Augustins schon bei der ersten Lektüre berührte.

Mit Sicherheit ist dies diejenige Sternlesen-Station, die am längsten dauert, weil das Gespräch hierhin und dahin flutet, und sie endete damit, dass dieses Grüppchen beschließt, man solle doch auch Wohnzimmer-Konzerte, Wohnzimmer-Ausstellungen und Wohnzimmer-Theater anbieten, denn die entspannte Atmosphäre, in der diese Auseinandersetzung mit und über Kunst stattfindet, die hat etwas für sich!

Katrin Oberhofer: writing_and_cats
Katrin Oberhofer: writing_and_cats

Für Katrin und mich geht die Reise eine Stadt weiter: Nach Linz, wo man uns in der Buchhandlung Fürstelberger wahrlich aufs Herzlichste empfängt. Ja, manche Orte und manche Menschen fühlen sich an, als sei man erst vor drei Minuten aus der Tür gegangen und soeben wieder zurückgekehrt, und die Buchhandlung Fürstelberger ist solch ein Ort.

Nach der gewünschten Lesung aus »Requiem« vergnügen wir uns mit einem sehr erheiternden Rätselraten über (beinahe) vergessene Wörter: Manchen, wie der Puppenhutschen, wird wohl kaum eine Träne nachzuweinen sein, denn welche Frau greift nicht lieber selbst nach dem Gashebel einer Maschine und welcher Mensch wird gerne als ›Puppe‹ bezeichnet?

Um andere hingegen, aus denen wir nicht – ob weiterentwickelter Weltsicht – herausgewachsen sind, wäre wirklich schade, würden wir sie vergessen. Solch ein Wort ist mir ›ruminieren‹ (nachsinnen, etwas wiederkäuen – im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn). Im Nachblättern lerne ich, dass sogar ›flanieren‹ vom Aussterben bedroht sei: Diese Köstlichkeit, die ein wertfreies Gehen thematisiert, das nichts will, nichts intendiert und dennoch (Oder gerade deswegen?) alles um sich wahrnimmt – nein, wir würden nicht bloß Kulturgeschichte verlieren, sondern auch die Bezeichnung für einen hellwachen Zustand. Daran sollten wir Literat*innen hurtig etwas ändern!

Credit: Gerhard Egghart
Credit: Gerhard Egghart
Hans Augustin liest im Betreuten Wohnen in Thaur
Hans Augustin liest im Betreuten Wohnen in Thaur

Am Nachmittag beginnt in St. Pölten das große Hallo: All die lieben Kolleg*innen trudeln nach und nach glücklich ein, sprudeln über von Erzählungen, wie es ihnen ergangen ist, sprechen von Begegnungen und Herzlichkeit, von der Freude der Beschenkten, die es oft nicht fassen konnten, dass man ihnen nach der Lesung ›einfach so‹ ein Buch überreiche

Hans Augustin liest in einer Volksschule
Hans Augustin liest in einer Volksschule

Sie berichten vom Wunsch kontinuierlicher Besuche, insbesondere in Pflegeheimen wurde dies geäußert – wie auch schon im letzten Jahr, denke ich bei mir, und bedaure, dass weder ich im Nebenher noch das kleine-feine »Institut für narrative Kunst NÖ« als Trägerverein dies leisten wird können: Dazu täte unbedingt eine Kooperation mit einer größeren Trägerorganisation not! Ein Benefit wäre es allemal – mal sehen, was die Zukunft noch bringt …

Derweilen erzählen die Kolleg*innen von sympathischen Lesungsorten und wunderbaren Lehrenden, die sich freuten, dass die Klassenbibliothek durch unser Buchgeschenk wieder ein wenig gewachsen sei. Sie berichten von Menschen, welche die Wortkunst an einem Ort überraschte, an dem sie diese niemals erwartet hätten – zwischen Radieschen etwa oder mitten auf einem Wanderweg. 

Credit: Gerald Egghart
Credit: Gerald Egghart

Und während ich ihnen zuhöre, ruminiere ich ein wenig, und als ich aufstehe, um mit ihnen zu Lese-Flashmob und Abschlussveranstaltung zu gehen, weiß ich: All der überwiegend ehrenamtlichen Arbeit und all der momentanen Müdigkeit zum Trotz, wir werden sicherlich wieder Sternlesen, wenn es 2024 »Welttag des Buches« heißt!

Finale Photostrecke: Gerald Egghart – wir danken herzlichst!

Entdeckt in der Bücherei Buchkirchen
Entdeckt in der Bücherei Buchkirchen

»STERNLESEN« ist eine Initiative des »Instituts für Narrative Kunst NÖ« zum Welttag des Buches: In ganz Österreich starten am 18. April 9 Literat*innen in ihren jeweiligen Bundesländern und reisen lesend durch das Land, machen Station an den verschiedensten Orten, um auf die Relevanz der Kulturtechnik Lesen aufmerksam zu machen, um über ihre Leidenschaft für Literatur zu sprechen und ihre Begeisterung weiterzutragen. Die vorgestellten Bücher werden an jeder Station an Anwesende verschenkt. Sie sind mit einem Laufzettel versehen, und die Leser*innen sind aufgefordert, nicht nur ihre Lektüreeindrücke darauf festzuhalten, sondern das Buch danach auch weiterzugeben, damit sich ein Lesenetz über das ganze Land ziehen kann. 

 

WIR DANKEN der »Grazer Autorinnen Autoren Versammlung«, dem Land Niederösterreich, der Stadt St. Pölten, dem Bundesministerium für Kunst und Kultur sowie dem Land Steiermark herzlichst für ihre Förderung dieser Aktion!