Marlen Haushofer zum Geburtstag & den Leser*innen zum (Wieder)Entdeckten

 

Mich begeisterte Marlen Haushofer sehr früh. Als Kind bekam ich »Brav sein ist schwer« und »Schlimm sein ist auch kein Vergnügen« zum Geburtstag. Bücher waren sowieso immer mein erklärtes Lieblingsgeschenk, gab es immer viel zu selten und zu wenige, doch diese beiden verschlang ich geradezu; und das nicht bloß einmal. Selbst heute noch stehen sie in meiner Bibliothek, im Teilbereich der Kinder- und Jugendliteratur, ziemlich mitgenommen derweilen und zerlesen; mit einem Wort geliebt. 

Damals habe ich in diesen beiden Feriengeschichten zwar ihre Figur der strickenden Tante ob ihres Berufs der Literatin bewusst wahrgenommen, aber nicht Marlen Haushofer als Autorin. Das geschah erst Jahre später, als ich an der Universität ein Seminar zur Kinder- und Jugendliteratur belegte, und mir darin »Brav« und »Schlimm« zum Arbeitsthema wählte. Im Zuge meiner Rundum-Recherchen stieß ich außerdem auf »Himmel, der nirgendwo endet«, ein Roman einer Kindheit im ruralen Raum. Ach ja, man sollte Haushofer dringend zu ihren sprechenden Buchtiteln gratulieren! Jedenfalls, ich las »Himmel, der nirgendwo endet« und war begeistert. Wie es ihr darin gelingt, alle Geschehnisse aus dem Blickwinkel eines Kindes darzustellen; faszinierend! Und ein überaus nachhaltiger Leseeindruck, bis heute habe ich die Kleine, in der leeren Regentonne verkrochen, präsent, verborgen vor Vater, Mutter und der Blick ins Himmelblau – weshalb dieser Band sogleich die Lektüre von »Wir töten Stella«, »Begegnung mit dem Fremden« und weitere Erzählungen nach sich zog. Marlen Haushofers Kurzprosa ist dicht gewoben, großartig pointiert und unbedingt eine Wiederentdeckung wert. Wie die anderen Werke auch, nicht bloß die »Wand«, auf die oft und gerne verwiesen wird, als hätte sie davor und danach nichts Relevantes verfasst, was für ein Unfug!

Unser gleicher Vorname ist übrigens kein Zufall; der basiert natürlich auf der Faszination, die Haushofers Werk bis heute hat. Ja, ich bin der Überzeugung, dass das von ihr teilweise auch genutzte Etikett der ›Küchentischliteratur‹, wiewohl sie es ironisch verbrämte, weder ihr noch uns anderen Literatinnen danach je zugute kam. Mal ganz davon abgesehen, dass es ihr nicht gerecht wurde und wird. Was ich besonders an Haushofer mag: Wiewohl das Ringen um zwischenmenschliche Nähe sich durch ihre Arbeit zieht, ist doch jedes Werk anders – sprachlich, strukturell; sie überrascht uns immer wieder. Je älter ich werde, umso mehr entdecke ich eine Haushofer mit Sinn für feine Komik, vor allem in den »Begegnungen«!

Als ich ihre Biographie recherchierte, erkannte ich während der Lektüre ihres Lebens eine Emotion darin wieder, die mir sehr vertraut war: das Gefühl, im ›falschen Leben‹ gefangen zu sein, am Spagat zwischen äußeren Rollenanforderungen und einem Beruf, der einem innere Lebensnotwendigkeit ist, zu zerbrechen. Einmal schrieb sie: »Dieses Sich-nicht-wehren-Können ist das Leben.« Analog lässt sich sagen, der Versuch, aus dem ›falschen Leben‹, dem von außen gesteuerten, zum ›richtigen‹, also dem von Innen heraus gelebten Leben zu gelangen, zum empfundenen und wahrgenommenen Sein, ist das ›wahrhaftige Leben‹. Der Versuch wohlgemerkt, nicht unbedingt das Gelingen. 

Haushofer selbst hat sich stets gezwungen, allen Forderungen zu entsprechen; war Mutter eines unehelichen Kindes, was damals einem Fiasko, einem Schandmal entsprach, heiratete, gebar ein zweites Kind, war Hausfrau, Ordinationsgehilfin, ordnende Hand und Literatin; in der Rolle der Autorin floh sie ab und an von Steyr nach Wien, nicht nur um urbane Luft zu schnuppern, um den Raum zu nutzen, einmal unbeobachtet zu sein, sondern auch, um den Austausch mit Kolleg*innen zu pflegen. Auf den Tisch haute sie wohl eher selten; forderte keine gleichwertige Partnerschaft ein, stritt nicht vehement um Respekt für ihr Schaffen und Schreiben. Weder im privaten Umfeld noch im literarischen Feld, was wenig überrascht, bedenkt man, wir sprechen hier von den 1950er und 1960er Jahren. Dennoch kann man ihr ›Es muss möglich sein, beides zu vereinen!‹ ›emanzipatorisch‹ nennen. Mir jedenfalls zeigte sie, als Literatin und alleinerziehende Mutter, dass dieses Leben vorstellbar und möglich ist, und sie lehrte mich, es auch einzufordern. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, für diesen Denkraum, den sie uns Autorinnen schuf. Prägend war mir zudem ihr literarisches Vermächtnis »Mach dir keine Sorgen«, wenige Tage vor ihrem Tod 1970 publiziert. Es gibt wohl so viele Auslegungen zu dieser knappen Geschichte, wie es Kommentator*innen gibt. Mir ist dieser letzte Text tröstlich, weil er implizit aussagt, wie menschlich Scheitern ist. Nicht darum geht es im Leben, ob man scheiterte, wie oft, wobei oder wodurch, sondern darum, das Leben wahrhaftig versucht zu haben.