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Gertrude Steins »Tender Buttons«. Oder: Literarische Lieblinge aus meiner Hausapotheke und der Genuss, Tage damit zu verbringen.

Mit einer Literatin, die mich begeistert und mit einem Werk, das mich bei jeder Lektüre stets aufs Neue zu überraschen versteht, das Jahr zu beginnen, stimmt mich hoffnungsfroh: Gewappnet mit ihrem wunderbar trockenen Humor, wirft einen so leicht nichts mehr um, weswegen Gertrude Stein zu meiner literarischen Apotheke zählt. »Die Autobiografie von Alice B. Toklas«, wenn mir gehässige Äußerungen oder Selbstzweifel zusetzen. »Tender Buttons« – oder wie sie in der deutschsprachigen Übersetzung heißen »Zarte Knöpfe« -, wenn es darum geht, sich auf das Eigene zu besinnen und ›mein Ding‹ zu machen. Wie alle literarischen Arbeiten Gertrude Steins hat »Tender Buttons« Humor – und ich kann Nachmittage und Nächte damit verbringen, fühle mich herrlich getröstet danach.

Seinen Titel erhielt das Werk erst nachträglich, als es um die Publikation dieser Miniaturen ging, die solch nüchterne Zwischentitel tragen wie Dinge, Essen, Räume. Die Arbeit daran nahm ihren Beginn während eines Sommers in Spanien: Dort begann nach dem Verfassen von »A long gay book« und »Many many Women« ein Wandel: Nicht mehr das Innere wollte Gertrude Stein darstellen, sondern den »Rhythmus der sichtbaren Welt« (AABT, S. 160), die »Verquickung von Außen und Innen« (AABT, S. 208), womit bereits zentrale Elemente der Komposition von »Tender Buttons« genannt sind: Das Auge steht ebenso im Zentrum wie der Wechsel, die Veränderung – und somit implizit der Faktor Zeit.

Bei Erscheinen löste »Tender Buttons« Begeisterung aus; und eine »gewaltige Spottkampagne« (AABT, S. 209) vor allem unter den Rezensent*innen. Deren Unverständnis nahm Gertrude Stein offenbar gelassen: » Ich muss sagen dass wenn die Kolumnisten wirklich komisch sind und das sind sie ziemlich oft, Gertrude Stein schmunzelt und sie mir vorliest.« (AABT, S. 209) Doch alle Gelassenheit endet, wenn der Spott infam wird. Die Kolumnist*innen des Magazins »Life« fühlten sich aufgerufen, Steins Stil in einer eigenen Artikelserie zu parodieren – was in Folge eine recht eigene Dynamik entwickelte:

»Gertrude Stein schrieb eines Tages plötzlich einen Brief an Mason den damaligen Herausgeber von Life und sagte ihm die wahre Gertrude Stein sei […] komischer als ihre Nachahmer, um nicht zu sagen interessanter, und warum sie nicht das Original abdruckten. Zu ihrem Erstaunen erhielt sie einen sehr netten Brief von Mr. Mason worin er sagte er würde es gern tun. Und sie taten es auch. Sie veröffentlichten zwei Arbeiten […].« (AABT, S. 228)

Steins Erzählen ist kein Erzählen, das sich einem aufdrängt. Es gibt einem auch nicht vor, was geschieht oder wie man es zu werten hat. Es wird in »Tender Buttons« erzählt, ohne je zu erzählen. Das bedarf seitens des Lesenden ein wenig Geduld, bis man sich in diese Welt findet. Danach aber erfreut sie einen umso mehr mit zahlreichen Entdeckungen. Mir dünkt immer, es ist wie das Spazieren durch eine Ausstellung: An der Wand hängen Bilder, die man sich erst aneignen muss, weil man sie sich selbst erst zu entschlüsseln hat. Man kann vorüber eilen und verständnislos die Schultern zucken oder man bleibt stehen und schaut und lauscht und wartet. Vielleicht erzählt einem manches ›Bild‹ keinen einzigen Satz – doch in einem anderen wiederum öffnet sich eine ganze Welt, lässt man sich nicht vom ersten Unverständnis irritieren.

Die erste Irritation, die man während der Lektüre von »Tender Buttons« erlebt, besteht darin, dass Stein höchst eigenwillig in ihrer Zeichensetzung ist. Dort, wo es einzig eine Atempause markieren würde, weil ein Nebensitz beginnt, es einem der Sprechrhythmus ohnedies schon verrät, dass dort ein Komma den Satz teilen müsste, setzt sie bewusst keines. Da es ihr darum geht, den »Rhythmus der sichtbaren Welt aus[zu]drücken« (AABT, S. 160), tut ihres Erachtens dort nicht not. Andere Interpunktionen wie Ruf- oder Fragezeichen meidet sie gleichfalls, doch selten nur fehlt der Punkt.

Als der Künstler Stephen Haweis (1878–1969), der über seine Frau, die Lyrikerin Mina Loy (1882–1966), die sehr gerne zu Steins und Toklas’ samstäglichem Open House in die Rue de Fleurus 27 in Paris kam, Gertrude Stein während ihres Sommerurlaubs in Florenz kennenlernte und dort einen Blick in »The Making of Americans« warf, äußerte er seine Anerkennung und plädierte im nächsten Atemzug für Kommata:

»Gertrude Stein sagte Kommata seien unnötig, der Sinn solle immanent sein und nicht durch Kommata erklärt werden müssen und außerdem seien Kommata nur ein Hinweis darauf dass man innehalten solle und atmen aber man solle selber wissen wann man innehalten wolle und atmen. Jedoch, da sie Haweis sehr gern mochte und er ihr ein entzückendes Bild für einen Fächer geschenkt hatte, schenkte sie ihm zwei Kommata. Es muss jedoch hinzugefügt werden dass sie beim nochmaligen Lesen des Manuskripts die Kommata wieder herausnahm.« (AoABT, S. 177)

Sollten Sie nun nicht gelacht haben, so wissen wir, dass sie weder Gertrude Steins noch meinen Humor verstehen, das aber macht nichts. Schließlich dürfen Meinungen divergieren. So wie ich auch Gertrude Steins Ansicht über Kommata und Atmen und Selber-Wissen nicht teile – es legt einem ja auch niemand eine komplexe Partitur vor, in der keinerlei Angaben außer völlig gleich aussende Noten ohne Takte, ohne Längen, ohne Synkopen oder Wiederholungen vermerkt sind, oder? Was nicht heißen soll, dass ich es nicht spannend fände, mal einer Symphonie oder auch nur einem Streichkonzert zu lauschen, bei dem alles der Interpretation überlassen wird. Vielleicht – bei Gertrude Stein – nicht alles, denn sehr wohl setzt sie Kommata, doch in individueller Weise, was eine Verlangsamung des Lesetempos bewirkt, die dem Begegnen mit diesem Universum durchaus entgegenkommt. Beistriche finden sich zwischen Aufzählungen und ebenso bei Hauptsatzreihen, doch spart sie ihn bei Nebensätzen oder Einschüben mehrheitlich aus, wodurch Doppeldeutigkeiten gewollt entstehen: »Eine große Schachtel ist handlich gemacht aus dem was notwendig ist jede Art Substanz zu ersetzen. Angenommen ein Beispiel ist notwendig, je klarer es gemacht wird um so mehr Grund besteht für irgend ein äußerliches Anzeichen daß es ein Resultat gibt.« (S. 15) 

Welche Herausforderung dies für eine*n Übersetzenden bedeutet, kann man sich leicht ausdenken, und bei vielen Passagen gäbe es mehr als eine lösende Variante. So entschieden sich z. B. Marie-Anne Stiebel und Klaus Reichert, die Substantivierungen dennoch kleinzuschreiben. Hierdurch wird das verweisende Element auf ihre Herkunft im Verb oder Adjektiv, das hinter ihnen liegt, stärker betont.

Jeder Abschnitt in »Dinge« bereitet den Nächsten vor. Sie bauen aufeinander auf, wie ein Blick der durch einen Raum schweift: ein gedeckter Tisch, Stühle stehen rundum, ein Klavier und ein Lehnstuhl befinden sich im Hintergrund. Menschen kommen bzw. waren sie hier, Mildred oder auch Pauline saßen in diesem Zimmer, in dem die Stimmungen zwischen ernst und humorvoll changieren. Danach ist ein Schirm unauffindbar, Geschirr wird beim Spülen zerbrochen: Es etabliert sich ein regelrechtes Bildtableau – das mich ein wenig an die Fallenbilder von Daniel Spoerri erinnerte –, geschaffen jedoch einzig aus Sätzen, und dies in einer Sprache, die es sich zum Anliegen macht, Zeitebenen und Blickwinkel im Raum übereinanderzulegen. 

Viele Sätze sind das Resultat einer Verdichtung wie zum Beispiel dieser, der implizit eine ganze Szene wiedergibt:

»Keine Tasse ist zerbrochen an mehreren Stellen und geklebt, will sagen ein Teller ist zerbrochen und kleben bewirkt daß es zeigt daß Kultur japanisch ist.« (S. 24)

Gegen Ende des ersten Abschnitts brechen die Sätze verstärkt ab – als würde der oder die Sprechende all das, was ohnedies klar ist, nicht der Erwähnung wert finden:

»Ein Tisch bedeutet nicht wahr meine Liebe er bedeutet eine ganze Standfestigkeit. Ist es wahrscheinlich daß eine Veränderung [sic]

Ein Tisch bedeutet mehr als ein Glas sogar ein Spiegelglas ist groß. Ein Tisch bedeutet notwendige Plätze und eine Überprüfung eine Überprüfung einer Kleinigkeit er bedeutet er bedeutet wirklich daß das ein Stand war, ein Stand wo es gewackelt hat.« (S. 15)

Der letzte Abschnitt des ersten Teils – betitelt mit »Dies ist Beinsaum, ah da« – ist auch der Humorvollste, ein verdichteter Dialog zwischen zwei Menschen, ein Schäkern und Scherzen, wobei die Beistriche die Sprecherwechsel markieren:

»Ah da, warum ah da warum hei, hei Finger weg, ah da hei, ah da weg den Schmatz, Schmatz schmatzt. Ein Nähtchen Ständer, ein Nähtchen, führt zum zerr schmutzen, führt zum Weh zäh.« (S. 33)

Bei obigem Exempel einer Szene, die von der Reparatur eines Saumes erzählt, sei es ein knöchellanger Rock, sei es eine Hose, deren Naht sich gelöst hatte, die abgetreten war, an einem Punkt sogar eingerissen und verschmutzt, stehen die Tragende und die Näherin einander offenkundig nahe, sind ein Paar. Es wird in diesen Miniaturen auf den zweiten Blick also durchaus erzählt, ohne je im klassischen Sinn zu erzählen. Ich könnte auch schreiben: Es etabliert sich – gerade durch diese Schreibart! – ein Bild vor dem geistigen Auge des Lesenden, ohne dass je der Zeichenstift auf Papier gesetzt worden wäre, und – wie bei Prousts Spiegelsälen – setzt unser Gehirn manch von uns Erlebtes, Gesehenes, Erfahrenes in die Leerstellen der Tableaus. Nicht weil sie uns im Evozieren regelrecht dorthin treibt – wie Proust –, sondern weil sie mit allen Angaben höchst spärlich umgeht, uns Lesende also vehement auf uns selbst zurückwirft!

Auf »Dinge« folgt der Abschnitt »Essen« – der Tisch, der zuvor im Raum bereitet, überprüft, erneut bereitet wurde, wird uns nun gedeckt: Roastbeef, Hammel, darauf folgt (das bereits erwähnte) Frühstück. Zucker, Preiselbeeren, Schwänze [sic], gehen später über in »Sommerende«, was final in »Eine Mitte in einem Tisch« mündet. Auch hier ist auffallend, wie sie mit Zeit umgeht: Die Speisen entsprechen keiner gewohnten Speisenfolge, die Zeitebenen sind nicht chronologisch angeordnet, doch ergeben sie eine logische Folge: ›Flieder‹, ›Resultat‹, ›Hingabe und Fülle und ein Abschnitt in der Teilung‹, ›Anerkennung und Gartenkunst‹, ›Härte und ein Grund und der Rest und Überrest‹, ›kein Entzücken und keine Mathematik‹ in »Roastbeef« führen uns zum ersten Satz in »Hammel«:

»Ein Brief der welken kann, ein wissen das leiden kann und ein Greuel das gleichzeitig ist ist kapital.« (S. 45)

Bei all diesen Miniaturen geht es nur peripher um das titelgebende Objekt, sei es, dass jemand es zubereitet, es bevorzugt oder verabscheut, es misst oder es haben möchte – was sich ganz wunderbar im Anfangssatz von Roastbeef zeigt:

»Im innern ist schlafen, am äußeren ist röten, am Morgen ist sinnen, am Abend ist fühlen. Am Abend ist fühlen. Im fühlen ist Entsagung, im fühlen ist Erkennung, im fühlen ist Wiederkehr und gänzlich irrig ist Zwicken.« (S. 37)

Oder »Frühstück«, das der Idee folgt, wie man – wenn es einem eines Morgens nach ganz anderem gelüstet als gewohnt – dies sagen könne, obgleich man wisse, dass das Gegenüber konsterniert reagieren werde. Auch hier entwickelt sich vor unseren Augen (nicht den Ohren!) ein Dialog, ein halbierter, um genau zu sein, denn der antwortende Part ist nicht geschrieben, er spielt sich im Gehirn des Lesenden ab, was eindeutig die Wahrnehmung des ganzen Tableaus nährt, Sprechakte enden hier in Punkten – schlicht grandios, gönnt man sich dieses Vergnügen:

»Eine Veränderung, eine endgültige Veränderung schließt Kartoffeln ein. Das ist keine Vollmacht für den Missbrauch von Käse. Welche Sprache kann irgendeinen Menschen instruieren.

Ein glänzendes Frühstück, ein Frühstück glänzend, kein Streit, keine Gewohnheit, nichts, überhaupt nichts.

Eine plötzliche Scheibe verändert den ganzen Teller, sie tut es so plötzlich.« (S. 48) 

Und so weiter.

Ich muss sagen: »Frühstück« ist mein erklärter Liebling in »Tender Buttons«, ich könnte es wieder und wieder lesen – und habe stets aufs Neue mein Vergnügen an diesen viereinhalb Seiten. Vielleicht auch, weil ich mich darin wiedererkenne, im – an und für sich frühstückslos lebend, im Heute-Doch mit durchaus sonderbaren Vorlieben, die ich nicht diskutieren mag, noch weniger, wenn daraus ein »Platz der offen ist« (S. 49) am Esstisch entsteht. Wieder und wieder tut es eben not: »beschädigt und repariert«, oft auch: »ein Beschädigter repariert« (S. 50); und ich weiß, dass eine »Entschuldigung […] nicht Fadheit [ist], ein einzelnes Gericht ist nicht Butter, ein einzelnes Gewicht ist nicht Aufregung, ein alleiniges zerkrümeln ist nicht nur kämpferisch.« (S. 51) Es kann auch der verlorene Zustand nach einem Disput sein:

»Setz ein Messer nah an einen Käfig und sehr nah an eine Entscheidung und beinah eine rechtzeitig arbeitende Katze und Schere. Tu das zeitweise und mach keinen Fehler mehr im stehen. Breite alles aus und arrangiere den weißen Platz […].« (S. 52)

Auch »Kuchen« ist eine wundervolle Prosaminiatur. Wie darin in wenigen Sätzen mehrere Szenen dargestellt werden, deren einziges verbindendes Element das Faktum ist, dass es Kuchen mit weißer Glasur gab, der mit diversen Gegenständen gelöchert wird, sei es nach Schüssen, die in Schutt und Asche legten, sei es ein Anlass, der eine Hutnadel erfordert oder ein Picknick, bei dem man bitte darauf achten möge, keine »närrische Zahl zu verursachen« (S. 59). Sie alle eint – »im Strom eine Erinnerung grünes Land« (S. 60) die Frage: »Warum weiß. Weiß warum.« (S. 60).

Ebenso schätze ich Steins Wortkreationen, wenn von einem »Unheilhecker« (S. 47) die Rede ist – das sollte dringend in den alltäglichen Sprachgebrauch übernommen werden! Oder wenn ein ›großer Anzug‹ eine Kerze sucht, die aber bitte nicht »weizenig« sein soll (S. 57). Solche Neologismen lässt Gertrude Stein aber nur gelten, wenn sie keine »Flucht in nachahmende Gefühlsduselei« (AABT, S. 160) sind. 

Im Gegensatz zur visuellen Wahrnehmung stellt die akustische kein bestimmendes Element in diesem Erzählen dar. Nur selten wird sie dominant. So zum Beispiel in »Huhn« – na no na ned, schließlich fällt wohl jedem, der selbst Hühner hält und täglich mit ihnen zu tun hat, zuerst ihr Gackern ein; und nicht das Ei oder die Mauser. Bei diesen Miniaturen empfiehlt sich durchaus das temporeichere und laute Lesen: 

»Tun tun ruf dann, tun tun tuen, tun mit einem Huhn. Tun in einer extra Runde, tun da rein.« (S. 63)

Ich bin mir sicher, würde ich dies meinem Federvieh (ja, 24 davon, derzeit) vorlesen, es würde sich zwar wohl nicht so köstlich amüsieren wie ich, dafür jedoch sogleich einstimmen! Vor allem wäre ihnen wohl daran gelegen, dass »tun da rein« ausschließlich »weizenige« Körner betreffen möge: »[Z]ur mal Zeit« (S. 64) haben Hühner nämlich keine Geduld. Schon sind alle verschlungen.

 

 

Kürzel & Quellen:

S.: Stein, Gertrude: Zarte Knöpfe. Übersetzt von Marie-Anne Stiebel und Klaus Reichert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991.

 

AABT: Stein, Gertrude: Autobiografie von Alice B. Toklas. Übersetzt von Roseli und Saskia Bontjes van Beeck. o. O.: ebersbach & Simon 2021.