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Corinna Antelmann: »Im Geiste, Anna«. Oder: Es gäbe so vieles noch zu sagen

Vieles gäbe es über Anna Freud (noch) zu sagen, jüngstes der sechs Kinder von Sigmund und Martha Freud, Vorreiterin der Kinderanalyse und Erforscherin der Abwehrmechanismen. Vieles, das in Vergessenheit zu geraten droht, da Anna Freud stets im Schatten ihres Vaters und anderer männlicher Analytiker aus seinem Kreis stand. Vieles, auch da eine großartige Frau kaum mehr präsent ist, die selbstbestimmt ihr Leben lebte.

Corinna Antelmann schafft in ihrer Erzählung über Edith, eine junge Deutsche, die der Dominanz des Vaters flieht und nach Wien zieht, von dort Briefe an Martha schreibt, ihre beste Freundin – und wohl auch Geliebte –, vor allem eines: Das Interesse für Anna Freud wachzuhalten, die als »wandelndes Spiegelbild« der Briefschreiberin über die Seiten geistert. Wer sich bereits mit Anna Freud befasst hat und über Kenntnisse ihrer Arbeit, ihres Lebens verfügt, wird diese Briefe einer jungen Frau, die in einem Teeladen arbeitet und sich selbst sucht, jedoch wohl anders lesen können, als derjenige, dem diese beeindruckende Frau noch fremd ist.

Anna Freud, geboren am 3. Dezember 1895 in Wien, war zuerst als Lehrerin am Wiener Billrothgymnasium (1917–1920) tätig. Nach einer Lehranalyse bei ihrem Vater, damals durchaus üblich, heute verpönt, begann sie 1923 eine eigene Praxis in der Berggasse zu führen. Dennoch blieb sie ihrem Vater Sekretärin und Assistentin, wiewohl ihr bewusst war, dass sie, aus Sehnsucht nach Anerkennung, Zeit ihres Lebens zur Überarbeitung neigte. Von 1925 an lebte Anna Freud mit Dorothy Burlingham Tiffany. 1931 erstand das Paar Hochroterd, ein Häuschen im Wienerwald, im Süden der Stadt Wien: Dorothy und Hochroterd und alles ist gut, schrieb Anna Freud in einem ihrer Briefe, erinnere ich mich recht.

Ihr Buch »Das Ich und die Abwehrmechanismen« gilt bis heute als eines der Grundlagenwerke der Psychologie und gilt als Standardliteratur. 

1938 hatten Dorothy, die vier Kinder und Anna Freud Wien nach einem Verhör Anna Freuds durch die Gestapo zu verlassen. In London, neuer Wohnort, wurde Anna Freud auch sogleich wieder als Psychoanalytikerin tätig und widmete sich vor allem traumatisierten Kriegskindern und -waisen, die sie in den sogenannten Hampstead Nurseries, gemeinsam mit einer Ärztin und mit Dorothy, betreute. Aus dieser Initiative entstand 1947 ein Lehrinstitut für Kindertherapie, dem Anna Freud bis 1952 als Direktorin vorstand. Bekannt ist außerdem, dass Anna Freud eine wahre Strickkünstlerin war, die für ihre Wollkreationen sogar ein eigenes Label entwarf, welches sie im Nacken einnähte. Weniger bekannt hingegen ist, dass Anna Freud auch belletristische Arbeiten verfasste.

Ja, vieles an dieser beeindruckenden Frau bliebe noch wiederzuentdecken, d. h. einer breiteren Öffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen: Corinna Antelmann hat mit »Im Geiste, Anna« in ihrer – im zeitgenössischen Einerlei – so angenehm zu lesenden sprachlichen Gestaltung einen begrüßenswerten Anfang gemacht! Deshalb sei hier final aus dieser Erzählung zitiert:

»Dir ist gelungen, was vielen Frauen deiner Zeit verwehrt blieb, und meiner auch, da mache ich mir nichts vor: dir deinen Platz zu erobern und bei aller Loyalität dann doch das Eigene zu entwickeln. Die Freiheit liegt weder im Fortgehen noch im Bleiben, sondern darin, sich selbst aufzunehmen in den illustren Kreis der Gestalterinnen.« (S. 70-71)  

 

Antelmann, Corinna: Im Geiste, Anna. Erzählung. Graz: Kollektiv. Der_Verlag o.J.