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Dorothy Thompson: »Ich traf Hitler!« Oder: Die Gefahren der Lächerlichkeit.

Manchmal liest man ein Buch zu spät. Man schließt es nach Tagen der Lektüre und fragt sich, woher kam der Jubel über diese Publikation. Blättert zurück und sucht nach jenem Abschnitt, den man womöglich nicht mit entsprechender Genauigkeit gelesen hat, jenem Satz, jener Bildzeile wenigstens. Um danach lapidar festzuhalten:

Es ist, was es ist.

Nicht mehr.

Aber auch nicht weniger.

Es ist vor allem ein Rundum, das überzeugt und das Interesse weckt: Damit meine ich nicht nur die der Reportage Dorothy Thompsons beigefügten Original-Illustrationen, die Einblicke liefern, die Querverweise (z. B. auf Thompson und die Figurengestaltung im Film »Woman of the Year« mit K. Hepburn), sondern vor allem die Analyse der Trugschlüsse, zu denen wir Menschen wohl unisono neigen.

Wer sich von »Ich traf Hitler!« erhellend Neues erwartete, wird jedoch enttäuscht werden, sollte er oder sie sich zuvor bereits mit dem Thema beschäftigt haben, und wer nach der Lektüre darüber nachdenken möchte, wie es sein könne, dass manche bis heute von der Unmöglichkeit des Wissens reden und auf die Behauptung schwören, keiner hätte ahnen können, wie die Nationalsozialisten tickten, der wird wieder einmal eines Besseren belehrt: Wenn Dorothy Thompson es begreifen konnte, auch weil sie ihre eigenen Wahrnehmungen reflektierte und infragestellte und sie den Mut hatte, diesen Prozess ihres Nachdenkens durch die Gestaltung ihrer Reportage zudem der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, waren diese Einsichten auch anderen Menschen weltweit zugänglich: Es ist stets gefährlich, einen Politiker, den man verachtet, als bedeutungslosen Dummkopf abzutun. »Ich traf Hitler!« ist vor allem eine Reportage über die Gefahr der Lächerlichkeit, und diese sollten wir zeitgenössischen Leser*innen sehr bewusst reflektieren, bevor die Zeitungen unserer Gegenwart schließen und zur Tagesordnung übergehen.

Viel mehr gibt es darüber nicht zu sagen.           

 

Thompson, Dorothy: »Ich traf Hitler!« Der Reportage-Essay von 1932 mit sämtlichen Original-Abbildungen. Übersetzt von Johanna von Koppenfels. Hgeg. Von Oliver Lubrich. Wien: Dvb 2023.